BI Driftsethe

Bürger-Initiative gegen die Bauschuttdeponie in Driftsethe

Goldrausch auf der Müllkippe

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Bremen. Die Deutschen sind Europameister im Recyceln. Doch nach wie vor wandern hierzulande jedes Jahr Millionen Tonnen an Wertstoffen auf den Müll – ungeachtet weltweit knapper werdender Ressourcen. Die Idee des Urban Mining will Abhilfe schaffen, indem es den Recyclinggedanken radikal ausweitet. Das Konzept begreift unsere Städte als Rohstoffquelle, die es verstärkt anzuzapfen gilt. In Bremen feilen einige Pioniere schon eifrig an der Umsetzung des städtischen Bergbaus.

Für Hans-Dieter Wilcken käme es heute nicht mehr infrage, ein ausrangiertes Mobiltelefon einfach wegzuwerfen. „In spätestens fünf Jahren würde ich das bereuen“, sagt der Geschäftsführer der Bremer Entsorgungsfirma Nehlsen. Wilcken hat glänzende Argumente für seine Haltung: In 41 Handys stecke die gleiche Menge Gold wie in einer Tonne Golderz. „Allein fehlt es uns derzeit noch an Verfahren, um solche Rohstoffe wieder aus Elektronikschrott zurückzugewinnen“, erklärt er. Forschungsabteilungen zahlreicher Recyclingfirmen arbeiteten allerdings mit Hochdruck an entsprechenden Lösungen.

Zivilisationsmüll als Rohstoffquelle – dieses Prinzip findet europaweit immer mehr Zuspruch. Gesetzliche Rahmenbedingungen, um dieses Vorhaben voranbringen, sind in Arbeit. Das Nachrichtenmagazin „Spiegel“ etwa zitiert aus einem internen Papier der EU-Komission: „Der Großteil der 20 Millionen Tonnen Elektroschrott, die jährlich in der Europäischen Union anfallen, wird nicht recycelt“. Diese urbanen Minen sollen nach dem Dafürhalten der Brüsseler Beamten künftig durch Wiederverwertung der Metalle erschlossen werden. Die EU-Abfallrahmenrichtlinie geht noch weiter. Sie sieht vor, möglichst viele weggeworfene Gegenstände erst gar nicht zu recyceln, sondern gleich für die Wiederverwendung herzurichten. Egal welche Vorgehensweise letztlich intensiver betrieben wird, eines scheint sicher: Das rohstoffarme Europa hat seine Städte als Ressource entdeckt.

Auch in Bremen gibt es Überlegungen und sogar konkrete Projekte, die sich dieser Maxime widmen. „Urban Mining ist zwar ein Modebegriff, aber das Prinzip dahinter ist nicht dumm“, sagt Gerhard Schreve, Leiter der kommunalen Abfallwirtschaft im Bremer Umweltressort. Lange Zeit seien viele Rohstoffquellen ignoriert worden. Das habe sich in den vergangenen Jahren zusehends verändert. Ein Beispiel dafür sei die Arbeit von Nehlsen.

Bereits heute gewinnt das Unternehmen aus Sperr-, Gewerbe- und Hausmüll Rohstoffe, die von der Industrie stark nachgefragt werden. „Es ist schlicht eine Frage des Preises, die hinter dieser Entwicklung steckt“, sagt Geschäftsführer Hans-Dieter Wilcken. Besonders spektakulär sei dieses Phänomen derzeit bei Metallschrott zu beobachten. Während der Finanzkrise habe man froh sein können, nichts für die Entsorgung bezahlen zu müssen. Mittlerweile würden für eine Tonne bestimmter Altmetalle mehrere Hundert Euro geboten.

Für begrüßenswert hält Wilcken deshalb auch das Vorhaben von Bundesumweltminister Norbert Röttgen, den gelben Sack durch eine sogenannte Wertstofftonne zu ersetzen. In ihr sollen künftig neben Verpackungen auch metallene Gegenstände wie Bratpfannen aber auch Plastikspielzeug entsorgt werden können. „Bisher wandern solche Dinge auf den Hausmüll und sind damit oftmals verloren“, sagt Hans-Dieter Wilcken.

Es besteht kaum Zweifel daran, dass die Recyclingquoten in den kommenden Jahren rasant steigen werden. Eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) kommt zu dem Ergebnis, dass sich der Umsatz der Entsorgungswirtschaft in den kommenden fünf Jahrenverdoppeln wird. Durch neue Verfahren wird sich vor allem die Bandbreite dessen vergrößern, was die Entsorger wiederverwerten können.

Immer noch landen Unmengen an Elektronikschrott aus der westlichen Welt illegal auf Deponien in Schwellenländern. „Diese Methoden werden schon allein aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten demnächst nicht mehr attraktiv sein, weil solche Geräte einfach zu wertvoll sind“, sagt Hans-Dieter Wilcken. Um komplexen Gegenständen wie Platinen, Akkus oder Leuchtstoffröhren ihre Wertstoffe zu entlocken, seien jedoch komplizierte chemische Verfahren nötig. „Das ist ein sehr langer Weg, forschungsintensiv und kostenaufwendig.“ Dennoch ist dem Entsorgungsunternehmen die Aussicht auf das lukrative Geschäftsfeld einige Mühen wert. Zusammen mit der Hochschule Bremen und dem Fraunhofer-Institut tüfteln die Forscher von Nehlsen an Lösungen. „Es fehlt nur noch der letzte Kniff“, sagt Wilcken.

Noch sind die Preise vieler Rohstoffe nicht hoch genug, um jede Form des Urban Mining wirtschaftlich zu rechtfertigen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Erhebung der Berliner Stadtreinigung (BSR). Die Hauptstädter hatten ausrechnen lassen, ob sich die Öffnung ihrer Deponien zur Wertstoffgewinnung gegenwärtig lohnen würde. Ergebnis: Um aus dem Rohstoffabbau auf Müllhalden ein lohnendes Geschäft zu machen, müssten sich die aktuellen Preise noch einmal verdoppeln.

Dass Urban Mining jedoch auch heute schon ein lohnendes Geschäft sein kann, beweist die Bremer Bauteilbörse. Seit 2003 vermittelt der wirtschaftlich arbeitende Verein alles, was bei Abbruch- oder Umbauarbeiten anfällt und wiederverwendbar erscheint. Privatleute, Betriebe, Kirchen, Baugesellschaften oder Behörden stellen Bauteile gegen eine Gebühr in die Datenbank des Vereins ein. Das Angebot der Börse reicht von Türbeschlägen und Lampenschirmen über Fensterrahmen und Haustüren bis hin zu ganzen Treppen und Kachelöfen. Die Bremer Bauteilbörse ist die einzige Einrichtung ihrer Art in der Bundesrepublik. Der Kundenkreis der Bremer wächst von Jahr zu Jahr. Manche Käufer reisen Hunderte von Kilometern an, um sich mit den günstigen Secondhand-Utensilien einzudecken.

Den Erfolg führt Projektleiterin Karin Strohmeier auch auf einen Gesinnungswandel in der Gesellschaft zurück: „In den 80er-Jahren hätte es wohl weithin noch als ärmlich gegolten, Gebrauchtes zu kaufen.“ Mittlerweile haftet Secondhand-Ware schon fast etwas Avantgardistisches an. Neben Preis und Image spreche auch die Energiebilanz für die gebrauchten Baustoffe, stellt das Ökoinstitut Freiburg fest. Der Grund dafür ist offenkundig: Wer alte Bauteile wiederverwendet, spart die Energie und Rohstoffe, die es gekostet hätte, neue herzustellen.

Die Recycling-Ziele der EU erfüllt die Hansestadt bereits. „Wir haben allerdings nicht vor, uns darauf auszuruhen“, sagt Bremens Chef-Entsorger Gerhard Schreve.

In Zeiten des weltweiten Ressourcenmangels werden Städte und ihr Abfall als Rohstoffquellen immer interessanter.

Quelle: Weserkurier vom 02.12.2010 von Sebastian Manz

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