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Interview: Warum macht Müll hungrig?

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ARD Themenwoche 23.-29. Oktober 2010

Foto Schnittstelle Thurn GbR

Foto Schnittstelle Thurn GbR

Mehr als die Hälfte unserer Lebensmittel, das belegen internationale Studien, landet im Müll: krumme Gurken, zu dicke Kartoffeln, Waren, die in zwei Tagen das Mindesthaltbarkeitsdatum erreichen. Das Ausmaß der internationalen Lebensmittelverschwendung hat Regisseur Valentin Thurn für die ARD-Themenwoche “Essen ist Leben” in seiner jüngsten Dokumentation “Frisch auf den Müll” untersucht.

Herr Thurn, Sie haben sich Monate lang mit Lebensmittel-Müllbergen beschäftigt. Wann haben Sie das letzte Mal Ihren Teller nicht brav leer gegessen?

Filmszene 1: In Österreich wertet eine Wissenschaftlerin Müll aus dem Handel aus

Filmszene 1: In Österreich wertet eine Wissenschaftlerin Müll aus dem Handel aus

Valentin Thurn: Erst heute Morgen blieb ein Löffel von meinem Getreidebrei, den ich mir zum Frühstück gern mache, liegen. Es ist nicht so, dass man das komplett vermeiden kann – schon mal gar nicht mit Kindern. Ich habe drei. Aber jetzt, wo mir das mit der Lebensmittelverschwendung bewusster ist, teile ich mir im Restaurant gern auch mal eine Portion mit einem Freund und überlege mir danach, ob ich noch mehr brauche.

Sie sind für Ihren Film nach Österreich und Frankreich gereist. Deutschland kommt in Ihrem Film kaum vor. Warum nicht?

Valentin Thurn: Wir haben versucht, die Fragestellung global anzugehen, weil das Problem überall in der westlichen Welt besteht. Aber es gibt auch einen ganz banalen Grund. Das Wegwerfen wird nicht gerne gezeigt. Deutsche Supermärkte wollten uns nicht drehen lassen, wie Müll in die Tonne geworfen wird. Deshalb mussten wir nach Österreich ausweichen. Da konnten wir drehen – vielleicht auch, weil die öffentliche Debatte zu Lebensmittelverschwendung dort weiter ist und ein Bewusstsein für das Problem besteht.

Heißt das, dass sich in Deutschland noch nie jemand mit diesem Problem auseinandergesetzt hat?

Valentin Thurn: Ganz wenige Menschen tun das. Die Mülltaucher zum Beispiel, junge, konsumkritische Menschen, die Suppermarktcontainer plündern. Die Politik macht bislang nichts. Die Gesellschaft für Konsumforschung in Nürnberg hat zwar Zahlen zu Lebensmittel-Müll für Deutschland ausgerechnet – allerdings auf der Basis von Österreich, weil sie ja keine eigenen Zahlen haben. Der Handel weiß genau, was in der Tonne landet. Aber die Zahlen werden nicht veröffentlicht, weil das zu einem schlechten Image führt. Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner hat bei der Grünen Woche in diesem Jahr gesagt, ihr ist das ein Anliegen, dass sich da etwas tut. Aber das Credo ist immer noch so, die Wirtschaft soll das selber regeln, wir wollen dort nicht mit noch mehr staatlichen Vorschriften eingreifen.

Wo sitzen die größten Lebensmittelverschwender und was verschwenden sie am meisten?

Filmszene 2: In Hilden heizt ein Bäcker mit altem Brot seinen Backofen

Filmszene 2: In Hilden heizt ein Bäcker mit altem Brot seinen Backofen

Valentin Thurn: Wir in der ersten Welt schmeißen viel mehr weg als die dritte Welt. Früher hat man deshalb immer die böse EU bezichtigt. Die ist schon auch verantwortlich, hat aber auch ganz viele Normen abgeschafft – wie die für gerade Gurken. Der Handel behält die Richtlinien einfach weiter und hat sie zum Teil sogar verschärft. Für die landwirtschaftlichen Zulieferer bedeutet das, dass zum Beispiel Kartoffeln, die zu klein, zu groß oder herzförmig sind, gar nicht erst in den Handel kommen. So bleiben von vorneherein 40 bis 50 Prozent auf dem Acker liegen. Das sind so viele, dass man die gar nicht alle verfüttern kann. Der Handel argumentiert, dass der Kunde diese Kartoffeln nicht will. Aber ehrlich gesagt, mich würde keine Herzform stören. Bei Bananen, die man sehr viel im Supermarktcontainer sieht, sieht das anders aus. Wenn die braune Stelle haben, kaufen wir sie nicht mehr. Da sind wir als Konsumenten schon sehr verzogen. Es ist also nicht so, dass es bei der Lebensmittelverschwendung den einen Bösen gibt. Das ist ein ganzes Geflecht, das sich da entwickelt hat.

Wie lässt sich Lebensmittelverschwendung verhindern? Oder ganz einfach gefragt: Wäre es nicht logischer, nur so viel zu produzieren, wie auch konsumiert wird?

Valentin Thurn: Es gibt gute Modelle, die auch schon in Deutschland existieren. Zum Bespiel der direkte Kauf von Gemüsekisten beim Bauern. Der packt in die Kiste nur das rein, was er auch gerade frisch da hat. Ich habe so die Pastinaken, ein leckeres Gemüse, kennen gelernt.

Das heißt, wenn wir jetzt alle Gemüsekisten kaufen, ist das Problem gelöst?

Valentin Thurn: Nein, man wird Millionenstädte jetzt natürlich nicht mit Gemüsekisten versorgen können. Es gibt aber auch dort Ansätze. In Amerika, ausgerechnet dem Land der Verschwendung per se, sind wir auf eine ganz intelligente Lösungen gestoßen. In einer Großküche in einem Krankenhaus werden die Essensreste erstmal gewogen, bevor sie in die Tonne kommen – jedes Produkt für sich. Diese Daten gehen dann zurück an die Köche. Und dadurch haben die plötzlich gesehen, dass sie zum Beispiel täglich zwei Pfannen Omelett zu viel gemacht haben. Allein durch dieses Feedback konnte die Krankenhausküche ihre Müllmenge um 30 Prozent reduzieren – ohne dass sich das Essensangebot geändert hätte. Letztendlich geht es darum, dass wir wieder lernen, unsere Lebensmittel wertzuschätzen, aber auch, wie wir unser Gemüse richtig lagern, ohne dass es schnell verdirbt.

Eine Frage in ihrem Film lautet: Warum macht Müll hungrig? Haben Sie eine Antwort gefunden?

Filmszene 3: Nur in den Industrieländern landet jedes fünfte Brot im Müll

Filmszene 3: Nur in den Industrieländern landet jedes fünfte Brot im Müll

Valentin Thurn: Ja. Was wir wegwerfen, sorgt für höhere Nachfrage auf dem Weltmarkt. Das führt zu einer Steigerung der Preise. Hungerkrisen haben grundsätzlich etwas mit Kaufkraft zu tun. Es wird nicht gehungert, weil zu wenig da ist, sondern weil sich die Armen bestimmte Grundnahrungsmittel nicht mehr leisten können. Wenn heute zum Beispiel, wie 2008 in 40 Ländern – z.B. Ägypten, Bangla Desh, Kamerun oder Madagascar – eine Brotrevolte ausbricht, dann geschieht das meistens in den Städten. Das klassische Bild vom Dorf in der Dürrezone, das gibt es zwar noch, das sind aber nicht die wahren Probleme. Es wäre wünschenswert, dass sich die Entwicklungsländer selbst versorgen könnten. Aber solange das nicht so ist, leiden sie unter den Weltmarktpreisen, die auch durch unsere Nachfrage verursacht werden. Wir werfen zwanzig bis fünfundzwanzig Prozent unserer Brotproduktion weg, weil wir kein Brot vom Vortag mehr kaufen wollen. Das sind Mengen, die gigantisch sind. Und die könnten wir sehr leicht reduzieren und damit die Situation auf dem Weltmarkt entschärfen.

Und was sollte der Handel tun?

Valentin Thurn: Ich fände es gut, wenn der Handel Regale hätte, in dem er Reste umsonst anbietet. Oder er verschenkt die Reste an seine Mitarbeiter. Man könnte solche Maßnahmen ja auch als sozialethisch oder klimafreundlich vermarkten, aber das traut sich der Handel noch nicht. Er hat Angst, dass die Verbraucher, dann weniger kaufen und dadurch der Umsatz sinkt. In den Niederlanden gibt es eine Supermarktkette, die verschenkt alle Produkte, die maximal zwei Tage vor Ablauf sind. Das finde ich eine Superaktion. In Österreich gibt es einen Laden, der abgelaufene Waren günstig verkauft. Bei uns gibt es wenige Supermärkte, die Waren runtersetzen, die nicht mehr lange haltbar sind. Auch das finde ich gut.

Das Gespräch führte Stephanie Zeiler, wdr.
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Studie: Lebensmittelverschwendung verschärft Wassermangel

Tagtäglich werden weltweit enorme Mengen Lebensmittel weggeworfen, das für die Produktion und die Bereitstellung notwendige Wasser geht dadurch ebenfalls verloren. Experten riefen daher während der vergangenen Weltwasserwoche dazu auf, die Verschwendung bis zum Jahr 2025 zu halbieren. Nur so lasse sich die Versorgung der wachsenden Weltbevölkerung sichern.

Das schreiben Wissenschaftler des International Water Management Institute (IWMI), der Welternährungsorganisation FAO und des Stockholm International Water Institute (SIWI) in einem Ende August vorgelegten Bericht. Demzufolge werden alleine in den Vereinigten Staaten jährlich 30 Prozent der Lebensmittel weggeworfen. Das sei so, als ob man den Wasserhahn aufdrehe und 40 Billionen Liter Wasser in den Abfluss fließen lasse, heißt es in der Studie.

In ärmeren Ländern gingen dagegen riesige Mengen Lebensmittel bereits verloren, bevor sie die Verbraucher erreichten. Je nach Pflanze würden die Verluste schon auf dem Feld 15 bis 35 Prozent des möglichen Ertrages betragen, weitere zehn bis 15 Prozent gingen während des Herstellungsprozesses, beim Transport oder bei der Lagerung verloren. In den reicheren Ländern sei die Produktion zwar effizienter, dort sei der Anteil der weggeworfenen Lebensmittel jedoch höher.

„An die Hälfte des Wassers, das weltweit bei Anbau und Produktion von Lebensmitteln eingesetzt wird, geht möglicherweise verloren oder wird verschwendet“, sagte Charlotte de Fraiture vom IMWI. Gleichzeitig lebten schätzungsweise 1,2 Milliarden Menschen in Gegenden ohne ein ausreichendes Wasserangebot. Durch die wachsende Nachfrage nach wasserintensiven landwirtschaftlichen Produkten wie Rindfleisch und Bioenergie steige zudem der Druck auf das Wasserangebot. Diese Entwicklung könnte in vielen Ländern zu Krisen führen, insbesondere in den Staaten Südasiens und Schwarzafrikas.

„Wenn wir nicht unser Verhalten ändern, wird die künftige Nahrungsmittelproduktion vor allem durch das verfügbare Wasserangebot beschränkt“, warnte FAO-Mitarbeiter Pasquale Steduto. Das geforderte Ziel, 50 Prozent der Verluste und Verschwendungen in der Produktions- und Konsumkette zu erreichen, sei daher notwendig, aber auch erreichbar. Eine effektive Strategie zum Wassersparen müsse dazu zunächst sicherstellen, dass die Lebensmittelverschwendung auf der politischen Agenda nach oben rückt.

Zudem müsse die Produktivität des Wassers steigen, etwa durch Bereitstellung besserer Technologien und Saatgüter für die Landwirtschaft. Die Forscher rufen daneben die Lebensmittel verarbeitende Industrie dazu auf, den Wasserverbauch über die gesamte Wertschöpfungskette zu senken und die Verbraucher stärker als bisher über den Zusammenhang zwischen weggeworfenen Lebensmitteln und Wasserverschwendung aufzuklären. Da Daten zu Umfang und Folgen der Lebensmittelverschwendung fehlen, fordern die Forscher ebenfalls mehr Untersuchungen zu diesem Thema

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