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Wenn Plastik tötet

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Erst bringt unser Wohlstandsmüll die Tiere um – jetzt gefährdet er auch die Menschen.

Mit dem Mageninhalt des Pottwals hätte man ein Gewächshaus bestücken können. 30 Quadratmeter Plastikplane, 4,5 Meter Schlauch, neun Meter Kunststoffleine, Mulchfolie und zwei Blumentöpfe fanden Meeresforscher bei der Obduktion des Tieres. Der Kadaver des zehn Meter langen Meeressäugers wurde vor einem Jahr an der südspanischen Küste angespült. Der Wal starb – so das vor wenigen Tagen veröffentlichte Ergebnis der Obduktion -, weil er 18 Kilo Kunststoffteile verschlungen hatte, die die erste seiner zwei Magenkammern verstopften. Das Verdauungsorgan platzte.

Müllteppiche im Meer bedrohen inzwischen nicht mehr nur Tiere, sondern auch den Menschen  Foto Reuters

Müllteppiche im Meer bedrohen inzwischen nicht mehr nur Tiere, sondern auch den Menschen
Foto Reuters

Drei Viertel des Treibguts in Europa bestehen heute aus Plastik. Verschiedenen Schätzungen zufolge gelangen zwischen sechs und 26 Millionen Tonnen Kunststoffteile pro Jahr in die Weltmeere. Sie stellen eine tödliche Gefahr für Meerestiere dar. Vögel, Fische, Schildkröten, Robben und Wale fressen Plastikteile oder strangulieren sich mit abgerissenen Leinen, Netzteilen oder Verpackungen.

Mit bloßem Auge nicht zu erkennen
Bislang befassten sich Wissenschaftler und Umweltschützer vor allem mit den riesigen Müllteppichen in Nordpazifik und Nordatlantik. Neue Forschungsergebnisse legen jedoch nahe, dass durch Sonne, Wind und Wellen zerriebenes, mikroskopisch kleines Plastik in die Nahrungskette gelangt. Einst achtlos weggeworfen, könnte der tückische Abfall so seinen Weg zurück zum Menschen finden.
Winzige Bruchstücke, sogenanntes Mikroplastik, interessieren Forscher derzeit besonders. Als Mikroplastik zählen Teilchen mit weniger als fünf Millimeter Durchmesser. Die meisten sind mit bloßem Auge nicht zu erkennen.

Plastik in Speisefischen
Um den Weg des Kunststoffs in die Nahrungskette zu untersuchen, fütterte Richard Thompson von der Universität im südenglischen Plymouth Wattwürmer und Krebse mit Plastikteilchen: „Alle Arten fraßen es innerhalb weniger Tage“, lautet das Fazit des Meeresbiologen. Thompson gilt als einer der versiertesten Kenner des Problems. Sind die Partikel fein genug, werden sie auch von Zooplankton gefressen, jenen Kleintieren, die Fischen und Walen als Nahrung dienen.
„Auch die Speiballen von Möwen enthalten in großen Mengen Mikroplastik“, erklärt Gerd Liebezeit vom Institut für Chemie und Biologie des Meeres an der Universität Oldenburg. Selbst im Kot von Seehunden, Kegelrobben und Schweinswalen wurden die Teilchen bereits nachgewiesen.
Die Forschungsgruppe von Richard Thompson fand in jedem dritten Fisch, den sie im Ärmelkanal gefangen hatten, die winzigen Kunststoffpartikel – auch in Speisefischen wie Dorschen, Makrelen und Petersfischen. „Hier besteht allerdings keine Gefahr für die menschliche Gesundheit“, sagt Biologe Thompson, „weil das Plastik im Darm der Fische gefunden wurde, den wir nicht essen.“

Computer, Flipflops und Zahnbürsten im Treibgut

230 größere Kunststoffteile finden sich auf 100 Metern deutscher Nordseeküste  Foto Colourbox

230 größere Kunststoffteile finden sich auf 100 Metern deutscher Nordseeküste
Foto Colourbox

Manche Partikel sind jedoch so klein, dass sie durch Zellwände dringen und sich im Gewebe anreichern können. In Aquariumsversuchen mit Miesmuscheln konnten Körnchen von Polyethylen, einem der am häufigsten verwendeten Kunststoffe, bereits in den Zellen des Verdauungstrakts nachgewiesen werden. Hohe Dosen des Materials führten bei den Muscheln zu heftigen Entzündungsreaktionen.
Zudem dienen treibende Teilchen als Schadstoffsammler. „Im Labor wurde bereits gezeigt, dass sich polyzyklische Aromaten oder Insektenschutzmittel wie DDT in Plastik anreichern“, erläutert Meereschemiker Liebezeit.

Phtalate* wirken wie Hormone im Körper
Viele Kunststoffprodukte, entwickelt für Industrieanwendungen, enthalten giftige Zusatzstoffe – etwa Flammschutzmittel oder Weichmacher. Zu Letzteren gehören auch die sogenannten Phtalate, die im Körper wie Hormone wirken.
Ob sich die Schadstoffe im Magen von Meerestieren wieder von ihrem Trägermaterial lösen und ihre Giftwirkung in den Körpern entfalten, müssen Forscher noch erkunden. „Wir wissen nicht, ob die Organismen leiden“, wendet Liebezeit ein.

Rasant ansteigende Massenproduktion
Dabei galten Kunststoffe einst als Heilsbringer. Für fast jede Anwendung gibt es inzwischen ein passendes Material. Plastik ist leichter als Stahl, durch verschiedene Zusätze wird es weich wie Polyesterstoff oder hart wie die Schale eines Motorradhelms. Außerdem sind die meisten Sorten unempfindlich gegen Chemikalien.
Seit den 1950er-Jahren stieg die Massenproduktion rasant an. 2011 wurden weltweit 280 Millionen Tonnen Plastik erzeugt. 40 Prozent der in Europa verkauften Kunststoffe dienen der Herstellung von Verpackungen. Hinzu kommen Wegwerfartikel wie Trinkbecher, Windeln oder 3-D-Brillen.

Bedenkliches Müllaufkommen in der Nordsee
Landen diese Gegenstände nicht im Müll, sondern gelangen in die Umwelt, transportieren Flüsse sie ins Meer. Dort verrotten sie nicht, sondern zerfallen langsam in immer kleinere Teile. Sind die Weichmacher ausgespült, wird das Material spröde. UV-Strahlung schlägt Löcher in die chemische Struktur. Wind und Wellen zerreiben das Plastik immer feiner. Schätzungen gehen davon aus, dass eine Einkaufstüte innerhalb von 20 Jahren zerkleinert ist. Der Zerfall einer Plastikflasche wird gar auf über 400 Jahre geschätzt.
An den Küsten aller Kontinente, selbst in der Antarktis haben Forscher inzwischen große und kleinste Bruchstücke gefunden. Sogar auf dem Meeresboden zwischen Grönland und Spitzbergen stießen Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) in Bremerhaven auf Plastiktüten.
In der Nordsee hat das Müllaufkommen bereits ein bedenkliches Maß erreicht, warnt der Zoologe David Fleet. Der Mitarbeiter der Nationalparkverwaltung Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer hat seit zehn Jahren untersucht, was das Meer an die Nordseeküste schwemmt. Im Durchschnitt findet Fleet auf 100 Meter Strand 230 Plastikteile, die größer als 2,5 Zentimeter sind. „Die kleineren Partikel machen wahrscheinlich den weitaus größeren Anteil aus, sind jedoch schwer messbar“, erklärt er.
Im Treibgut fand Fleet schon Computer, Flipflops und Zahnbürsten. Vieles kommt von weit her: „Wir haben schon Hummerkörbe aus England entdeckt und Plastikfolien von französischen Muschelfarmen.“

Plastik trägt Krankheitserreger durch die Meere

95 Prozent toter Seevögel hatten einer internationalen Studie zufolge Plastik gefressen Foto Colourbox

95 Prozent toter Seevögel hatten einer internationalen Studie zufolge Plastik gefressen
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Einmal im Monat besucht der Meereschemiker Gerd Liebezeit mit seinen Kollegen die Kachelotplate, eine wachsende, streng geschützte Sandinsel südwestlich von Juist. In Strandproben fanden sie dort fast 500 winzige Plastikpartikel in zehn Gramm Sediment – mehr als an allen anderen Messstellen. „Mikroplastik ist auf allen Stränden der Ostfriesischen Inseln nachzuweisen“, so Liebezeit.
Da die kleinen Teile mit bloßem Auge nicht von Sand zu unterscheiden sind, untersuchten Liebezeits Mitarbeiter sie unter dem Mikroskop. Neben Plastikkügelchen fanden sie auch verschiedene Kunststofffasern. „Wir vermuten, dass Klärwerke eine wesentliche Quelle sind.“ Kunstfasern, die beim Waschen aus der Kleidung ausgespült werden, oder winzige Schmirgelpartikel aus Peelings rutschen ungehindert durch die Filter und gelangen so in die Nordsee.

Tiere verwechseln Müllteilchen mit Futter
Der größte Anteil des Mülls stammt jedoch von Schifffahrt und Fischerei. Eigentlich dürfen Kunststoffprodukte nicht über Bord geworfen werden. Allerdings ist die Verklappung einfacher und billiger als die korrekte Entsorgung im Hafen.
Albatrosse und Eissturmvögel verwechseln an der Oberfläche schwimmende Müllteilchen mit Futter und schlagen sich den Bauch damit voll. „Besonders Eissturmvögel sind gefährdet, denn sie würgen keine Speiballen hervor wie andere Vogelarten, um Unverdautes aus dem Körper zu entfernen“, sagt David Fleet. Der Abfall verbleibe einfach im Körper und könne zu einem Darmverschluss führen. Forscher der Universität Kiel haben Seevögel untersucht. „Im Magen mancher Tiere fanden sie eine Müllmenge, die entspräche bei einem Menschen einer ein- bis eineinhalb Liter großen Tüte, gefüllt mit Plastik“, so Zoologe Fleet.

Sensibilisierung der Reedereien und der Kapitäne
Besonders tückisch: Das driftende Plastik trägt Krankheitserreger durch die Meere. „Wir finden sehr viele Vibrionen* auf Plastik“, erklärt Gunnar Gerdts vom AWI. Zu dieser Bakteriengruppe gehört beispielsweise der Erreger der Cholera. „Die Bakterien nutzen Plastikteile als Taxi, um von A nach B zu kommen.“ Einige Bakterien können sogar die Weichmacher aufnehmen und verwerten.
Bis 2020 soll das Plastikproblem so weit entschärft werden, dass es keine Schäden mehr in der Küsten- und Meeresumwelt anrichtet. Das ist zumindest das hehre Ziel der Europäischen Union. „Dass das gelingt, glaube ich nicht“, wendet Wattenmeer- Experte Fleet ein, der selbst in einer der Arbeitsgruppen zur Umsetzung der Rahmenrichtlinie sitzt. „Aber ich bin überzeugt, dass die Müllmengen deutlich reduziert werden können.“
Einen konkreten Maßnahmenkatalog soll eine internationale Konferenz im April in Berlin erarbeiten. Eine der wichtigsten Maßnahmen ist nach Fleets Meinung die Sensibilisierung der Reedereien und der Kapitäne: „Die Schiffsbesatzungen kommen aber oft von weither und müssen darauf aufmerksam gemacht werden, wie sehr sie die hiesige Umwelt mit ihren Abfällen zerstören.“
Plastikmüll im Walmagen In einem toten Pottwal fanden spanische Forscher Teile, die vermutlich aus Gewächshäusern stammen 30 m² Abdeckplane 4,5 Meter Schlauch 9 Meter Kunststoffseil 2 Blumentöpfe 2,5 Kilo Kleinstplastik.

Quelle: FOCUS Magazin Nr. 13 vom 23.03.2013 von Paul Klammer und Judith Blage

* Phtalate Weichmacher (oder auch Weichmachungsmittel) sind Stoffe, die in großem Umfang Kunststoffen, Farben und Lacken, Gummi, Klebstoffen und Befilmungsüberzügen zugesetzt werden, um diese weicher, flexibler, geschmeidiger und elastischer im Gebrauch oder der weiteren Verarbeitung zu machen. Weichmacher gehören zu den meistverkauften Chemikalien. (Quelle Wikipedia)
* Vibrionen ist eine umgangssprachliche Bezeichnung für Arten der Gattung Vibrio. Es handelt sich um gramnegative Bakterien, fakultativ anaerobe, gekrümmte Stäbchen. Die Geißeln sind meist polar angeordnet. Überdauerungsorgane wie Sporen werden nicht erzeugt. Die meisten Arten leben im Süß- oder Meerwasser. Zwei Arten sind humanpathogen, der bekannte Choleraerreger Vibrio cholerae und Vibrio parahaemolyticus. (Quelle Wikipedia)

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