BI Driftsethe

Bürger-Initiative gegen die Bauschuttdeponie in Driftsethe

Vom AKW bis zur grünen Wiese dauert es länger als geplant

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ATOMKRAFT: Viele Faktoren bestimmen den Zeitplan für den Rückbau eines Kernkraftwerks – unter anderem das fehlende Endlager und Klagen von Anwohnern gegen die zweite Abbauphase

Auf den ersten Blick mutet es schon seltsam an: Der Abriss eines Atomkraftwerks dauert länger, als es zu bauen. Zu beobachten ist dies gerade in Obrigheim, wo in diesen Tagen der Abbruch des 2005 stillgelegten Meilers in die zweite Phase geht. Auch sie wird von Anwohnerklagen begleitet. Wie aber wird eigentlich ein Kernkraftwerk abgerissen?

Demontagearbeiten im Maschinenhaus des stillgelegten Kernkraftwerks Obrigheim (KWO). Sie sind inzwischen abgeschlossen.  Bild dpa

Demontagearbeiten im Maschinenhaus des stillgelegten Kernkraftwerks Obrigheim (KWO).
Sie sind inzwischen abgeschlossen.
Bild dpa

Wer die Kraftwerkstraße in Obrigheim hinunterfährt, kann derzeit kaum eine Veränderung am stillgelegten Atomkraftwerk (KWO) wahrnahmen. Erst im Inneren zeigt sich der Fortschritt beim Abriss, der im August 2008 seinen Anfang nahm. Wo sich bis Mai 2005 die riesige Turbine drehte, klafft heute ein großes Loch. Im Maschinenhaus zeigt sich der Abbau der Anlage am deutlichsten. Die Stahlträger, die früher an den hohen Wänden installiert waren, sind ebenso verschwunden wie der Generator, die Pumpen, Wärmetauscher, Armaturen, Rohre und diverse Behälter. Die Arbeiten sind hier bereits abgeschlossen, und damit auch die erste von vier Stilllegungs- und Abbauphasen (siehe Grafik). Wo einst das regelmäßige Brummen des Generators zu vernehmen war, breitet sich eine merkwürdige Stille aus.

Der älteste kommerziell betriebene deutsche Meiler nahe Mosbach am Neckar diente lange als Symbol im Streit um die Atomenergie. Und noch immer ist das Gelände im Neckartal mit Zäunen, Nato-Draht und Wachposten gesichert. Die Kuppel des Druckwasserreaktors (das Containment) steht noch, Mitarbeiter wuseln über das Gelände, und selbstverständlich ist auch die Warte des Kraftwerks noch besetzt.

Zeitplan bisher eingehalten
Bisher konnte der Zeitplan für den Rückbau eingehalten werden, erklärte gestern Jörg Michels, Vorsitzender der EnBW Kernkraft GmbH (EnKK), in Obrigheim (Neckar-Odenwald-Kreis). Mit der Wende in der Energiepolitik der Bundesregierung jedoch unmittelbar nach dem Atomunfall im japanischen Fuku-shima gingen acht deutsche Atomkraftwerke auf einen Schlag vom Netz. Deswegen bezieht der Betreiber Verzögerungen beim Rückbau seiner abgeschalteten Meiler Philippsburg I und Neckarwestheim I in die Überlegungen ein. Wir wollen zwar den schnellstmöglichen Abbau, sagte Michels. Allerdings käme auf Behörden und zuständige Umweltministerien eine Fülle von Genehmigungsanträgen zu. Wie lange der komplette Rückbau dauert, können wir deshalb zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschätzen.

Auf jeden Fall dauert es sehr viel länger, ein Atomkraftwerk zu bauen, als es abzureißen. Jedenfalls in Obrigheim. Dort benötigte man bis zur Inbetriebnahme 1968 gerade einmal vier Jahre für die Bauarbeiten. Der Abriss wird nicht vor 2020 beendet sein. Und er hängt auch von externen Faktoren ab wie beispielsweise dem geplanten Endlager Schacht Konrad bei Salzgitter – das noch nicht endgültig genehmigt ist. Ursprünglich sollten dort ab 2015 kontaminierte Anlagenteile aus Obrigheim eingelagert werden. Doch der Ausbau des Endlagers für schwach- und mittelradioaktive Abfälle hat sich durch Gerichtsverfahren verzögert. Michael Wenk, bis Ende 2011 Vorsitzender der EnKK-Geschäftsführung und für die gestrige Pressekonferenz reaktiviert, rechnet jetzt ab 2019 damit, dass die radioaktiv belasteten Teile dorthin gebracht werden können.
Sie müssen also länger in Obrigheim zwischengelagert werden als gedacht. Was allerdings die Arbeiten vor Ort nicht verzögert. Die Kapazität der Lagerhalle auf dem KWO-Areal ist groß genug, um die kontaminierten und in Sicherungsbehältern verpackten Teile aufzunehmen. Und das ist nicht gerade wenig. Die Gesamtmasse des Kernkraftwerks in Obrigheim beträgt etwa 275 000 Tonnen, sagte Wenk. Der größte Teil davon entfalle auf Gebäude und Gebäudestrukturen. Nur rund ein Prozent davon seien radioaktive Abfälle – immerhin noch 2750 Tonnen. Diese werden, so Wenk, vor Ort gereinigt, in Fässer und Containern verpackt und zur Endlagerung vorbereitet. Eine zeitliche Begrenzung sieht die Genehmigung für die Lagerhalle nicht vor. Wohl aber die für die Transportbehälter. Die Castoren beispielsweise dürfen 40 Jahre lang benutzt werden. Dann müssen sie entweder in einem Endlager sein oder es heißt: umpacken.

Nachrüstungen erforderlich
Hinzu kommt noch das Zwischenlager für die abgebrannten Brennelemente, für das in Obrigheim noch keine Genehmigung vorliegt. Und zusätzliche neue Sicherheitsanforderungen könnten die EnBW teuer zu stehen kommen. Alle deutschen Zwischenlager für hochradioaktiven Müll sollen nachgerüstet werden, um sie gegen Terrorangriffe zu sichern. Diese Maßnahmen gehen zurück auf die Empfehlung einer Bund-Länder-Kommission vom vergangenen Jahr. Das Bundesumweltministerium sagte dazu gestern: Mit Beginn der Baumaßnahmen ist in diesem Jahr zu rechnen. Betroffen sind alle Zwischenlager: die acht standortnahen an den laufenden AKW und die zentralen in Gorleben, Ahaus und Lubmin. Dazu kommen fünf Lager an abgeschalteten Meilern und die stillgelegte Atomanlage in Jülich. Details bleiben aus Sicherheitsgründen geheim.

Die Kosten für diese Maßnahmen tragen die jeweiligen Energieversorger. Die EnBW plant oder betreibt Zwischenlager in Obrigheim, Philippsburg (bei Karlsruhe) und Neckarwestheim (Kreis Heilbronn). Insgesamt hat der Konzern für den Rückbau seiner insgesamt fünf Meiler knapp 5,4 Milliarden Euro zurückgestellt. Auf das Kraftwerk in Obrigheim entfallen davon laut Wenk rund 600 Millionen Euro.

Nach der Genehmigung des baden-württembergischen Umweltministeriums vom 24. Oktober 2011 beginnt aber jetzt erst einmal die zweite Phase des Abbaus in Obrigheim. Der Schwerpunkt liegt hier auf dem nuklearen Teil der Anlage. Dazu gehören etwa die beiden Dampferzeuger, der Druckhalter, mit dem Druck und Wasservolumen im Kühlkreislauf reguliert wurde, sowie die Hauptkühlmittelpumpen und -leitungen. In einer dritten Phase, deren Beginn noch nicht feststeht, wird dann der Kern der Anlage, der Reaktordruckbehälter, entfernt. Abschließend in einer vierten Phase werden schließlich die Kanalisation und Lufttechnik abgebaut.

Wann die gesamte Aktion abgeschlossen sein wird, hängt noch von vielen Faktoren ab. Michels geht vom Zeitrahmen 2020 bis 2025 aus. Allerdings klagen derzeit vier Anwohner aus der unmittelbaren Umgebung des AKW mit Unterstützung des Aktionsbündnisses Atommüll-Lager Obrigheim gegen die Genehmigung zum Rückbau des Meilers vor dem baden-württembergischen Verwaltungsgerichtshof in Mannheim. Die Kläger kritisieren vor allem, dass die Öffentlichkeit nicht an dem Verfahren beteiligt wird.

Eine grüne Wiese, das räumte Michels gestern ein, entsteht in Obrigheim also noch lange nicht.

Quelle: Mannheimer Morgen vom 12.01.2012

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