BI Driftsethe

Bürger-Initiative gegen die Bauschuttdeponie in Driftsethe

Akin-Doku „Der Müll im Garten Eden“: Der parfümierte Alptraum

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Mitte/Ende der 1990er Jahre beschloss der türkische Staat, oberhalb des Dorfes eine Mülldeponie anzulegen. In einer ehemaligen Kupfergrube soll Müll aus den Großstädten Trabzon und Rize sowie 49 weiteren Gemeinden eingelagert werden, nach Schätzungen 600 Tonnen Müll pro Tag. Das Vorhaben führte zu einem bis heute andauernden Widerstand der Dorfgemeinschaft.

Der Himmel stinkt bestialisch – und was tun die Behörden? Sie blasen Parfum in die Luft, das den Geruch übertünchen soll. In seiner ersten Doku „Der Müll im Garten Eden“ zeichnet Fatih Akin den Kampf von Dorfbewohnern gegen eine Abfallhalde nach. Die unerbittliche Chronik eines Umweltskandals.

Fatih Akins Großeltern kommen es aus dem Dorf, weshalb der Regisseur von dem sich anbahnenden Skandal erfuhr und sich seit 2005 gegen den Bau engagiert. Foto: Pandora Film/ Corazon international

Fatih Akins Großeltern kommen es aus dem Dorf, weshalb der Regisseur von dem sich anbahnenden Skandal erfuhr und sich seit 2005 gegen den Bau engagiert.
Foto: Pandora Film/ Corazon international

Natürlich stinkt der Müll. Dass er nicht stinken würde, war nur ein windiges Versprechen. Die Behörden haben es abgegeben, als es ihnen darum ging, in Çamburnu eine Mülldeponie einzurichten. Seit 2008 stinkt der Abfall dort nun zum Himmel, was auch Regierungsvertreter nicht abstreiten können. Immerhin wollten sie Abhilfe schaffen und haben am Rand der Müllkippe Masten errichten und Rohre verlegen lassen, die ein geruchsintensives Parfum verbreiten, das den Gestank übertünchen soll. Wenn der Wind ablandig weht, zieht das Parfum weit über das Meer, wo selbst die Fischer es wahrnehmen können. Für die Einwohner von Çamburnu aber bleibt die Müllkippe ein Alptraum, bestenfalls ein parfümierter.

Çamburnu liegt malerisch an der türkischen Schwarzmeerküste. Foto: Pandora Film/ Corazon international

Çamburnu liegt malerisch an der türkischen Schwarzmeerküste.
Foto: Pandora Film/ Corazon international

Çamburnu liegt an der türkischen Schwarzmeerküste. Und nicht nur die maritime Lage hat der 1200-Seelen-Ort – der vor dem Bau der Müllanlage noch mehr als 3000 Einwohner aufwies – mit einem kleinen bekannten Dorf in Gallien gemein. Auch in Çamburnu kämpfen die Bewohner gegen die Zentralgewalt, die sich in ihren Augen wie eine Besatzungsmacht verhält. Und erinnert ihr Bürgermeister – Hüseyin Alioglu ist sein Name – mit seinem Schnauzbart nicht an den Dorfchef Majestix?

Einen Barden haben sie jedenfalls auch in Çamburnu, der nach den Schlachten, die hier vor den Schranken der Verwaltungsgerichte stattfinden, todtraurige Balladen anstimmt. Aber obwohl er haargenau wie Troubadix klingt, knebelt ihn niemand. Die Bewohner von Çamburnu haben ja auch keinen Grund zu feiern – anders als die Gallier sind sie immer die Verlierer gewesen.

„Der Müll im Garten Eden“: Ein Dorf erstickt im Dreck
„So grün war dies Tal!“

Die meisten Dorfbewohner leben vom Teeanbau. Foto: Pandora Film/ Corazon international

Die meisten Dorfbewohner leben vom Teeanbau.
Foto: Pandora Film/ Corazon international

Fatih Akins Großeltern stammen aus Çamburnu, andernfalls hätte man von der Müllkippe dort und den Problemen, die sie verursacht, hierzulande wohl niemals gehört. 2005 war der Hamburger Filmemacher erstmals vor Ort, seither hat er sich gegen den Bau der Deponie persönlich engagiert. Weil sie die Teeplantagen und mit ihnen die Bevölkerung von Çamburnu in ihrer Existenz bedroht, hat er Protestaktionen unterstützt und Demonstrationen mit organisiert, er hat die Weltpresse informiert und Claudia Roth zu einem Ortstermin eingeladen.

Doch das kommt in seinem Film – glücklicherweise – nicht vor. Fatih Akin hat aus ihm kein Pamphlet gemacht. Zum einen ist sein „Müll im Garten Eden“ die sauber recherchierte und penibel geführte Chronik eines Umweltskandals samt all der zum Himmel stinkenden Absurditäten, die administratives Fehlverhalten immerfort mit sich bringt. Zu verdanken ist die lückenlose Aufzeichnung über fast fünf Jahre hinweg einem Einwohner des Ortes, der als Besitzer eines Fotogeschäfts so etwas wie der Dorfchronist ist – ihm überließ das Team eine Digitalkamera. 70 Prozent der Filmaufnahmen stammen von ihm. Bünyamin Seyrekbasan ist sein Name.

Eine Mülldeponie und ihre Folgen: In Çamburnu hat das versickerte Abwasser der neuen Anlage die Bäche verseucht. Foto: Pandora Film/ Corazon international

Eine Mülldeponie und ihre Folgen: In Çamburnu hat das versickerte Abwasser der neuen Anlage die Bäche verseucht.
Foto: Pandora Film/ Corazon international

Und doch handelt „Müll im Garten Eden“ noch von etwas anderem. Schließlich ist Fatih Akin der größte Melodramatiker, den das zeitgenössische Kino in Deutschland besitzt. Strahlend grün leuchtet die Leinwand in den Anfangsminuten, wenn der Film die Teeplantagen zeigt und die Kamera immer tiefer in sie eintaucht.
„So grün war dies Tal!“, möchte man mit John Ford rufen, der schon Anfang der vierziger Jahre in „How Green Was My Valley“ von einem Dorf in Wales erzählte, das eine Kohlemine unter Schlacke begrub. So wie dessen melancholische Familienchronik, die damals schon die Ausbeutung der Natur beklagte, zeichnet Akin Porträts jener Menschen, die dafür die Zeche zahlen, indem er das Dorfleben von Çamburnu ausmalt – womöglich kurz vor seinem Verschwinden, denn längst ziehen die Jungen von hier fort.

Dabei ist „Müll im Garten Eden“ alles andere als unpolitisch: So ist hier zu erfahren, dass die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Türkei, solange sie die Verhängung eines Baustopps in einem laufenden Verfahren kategorisch ausschließt, keineswegs EU-Maßstäben entspricht. Eine durchaus interessante Information mit Blick auf die Beitrittswünsche des Landes.

Er hat Protestaktionen unterstützt und Demonstrationen mitorganisiert, er hat die Weltpresse informiert und Claudia Roth zu einem Ortstermin eingeladen. Von solchen Aktionen ist im Film aber wenig zu sehen, stattdessen konzentrieren sich die Aufnahmen auf die tatsächlichen Ereignisse. Foto: Pandora Film/ Corazón international

Er hat Protestaktionen unterstützt und Demonstrationen mitorganisiert, er hat die Weltpresse informiert und Claudia Roth zu einem Ortstermin eingeladen. Von solchen Aktionen ist im Film aber wenig zu sehen, stattdessen konzentrieren sich die Aufnahmen auf die tatsächlichen Ereignisse.
Foto: Pandora Film/ Corazón international

Seinen melodramatischen Kern enthüllt der Film dann in den allerletzten Einstellungen: Da sieht man den Kameramann und Dorfchronisten mit seiner kleinen Tochter am Küchentisch sitzen. Die Tochter malt an etwas Buntem, während der Kameramann eine neue Kassette in seine Digitalkamera legt – ehe er sich allein, aber mit entschlossenen Schritten, wieder einmal auf den Weg zur Mülldeponie macht, die staubige Dorfstraße entlang, um dort draußen zu filmen.
So wie er haben die tadellosen Helden John Fords, Männer wie Wyatt Earp, ihre Trommelrevolver mit Patronen gefüllt, ehe sie sich auf der main street einer Übermacht bezahlter gunmen stellten, die im Auftrag irgendeines Viehbarons friedlichen Kleinstadtbewohnern die Luft zum Atmen nehmen wollten. Einen Western plant Fatih Akin ja schon lange. Ende November hat die Hamburger Filmförderung ihm dafür eine Million Euro bewilligt. Es wird wohl kaum dazu kommen, dass Bünyamin Seyrekbasan in „The Cut“, so der Arbeitstitel, den Sheriff verkörpern wird. Es wäre ihm aber zu gönnen.

Quelle: Spiegel Online 05.12.2012 von Jörg Schöning

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