BI Driftsethe

Bürger-Initiative gegen die Bauschuttdeponie in Driftsethe

Streit über radioaktive Grenzwerte

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Kernkraftwerk Unterweser: Betreiber und Bürgerinitiativen haben unterschiedliche Vorstellungen von Rückbau

Wesermarsch. Seit dem Bau in den 1970er-Jahren kämpft der Arbeitskreis Wesermarsch gegen das Kernkraftwerk Unterweser (KKU). Während der gesamten 33-jährige Laufzeit hagelte es Kritik an den Sicherheitsvorkehrungen, an der Heimlichtuerei bei Störfällen und am ungeklärten Verbleib des Atommülls. Nach der Stilllegung des Kraftwerks als Konsequenz aus der Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima (2011) eint Atomkraftgegner und KKU-Betreiber Eon das Interesse an einem Rückbau. Doch so wie sich Eon den Rückbau vorstellt, geht es nach Auffassung des Arbeitskreises nicht.

Die Pläne für den Rückbau des bereits stillgelegten Kernkraftwerks Unterweser bei Esenshamm liegen noch bis zum 30. November öffentlich aus. Foto Ingo Wagner

Die Pläne für den Rückbau des bereits stillgelegten Kernkraftwerks Unterweser bei Esenshamm liegen noch bis zum 30. November öffentlich aus. Foto Ingo Wagner

Seit dem 1. Oktober liegen die Anträge und Unterlagen des Kraftwerksbetreibers für den Rückbau öffentlich aus. Jeder Bürger hat noch bis zum 30. November (unter anderem im Braker Kreishaus) die Möglichkeit, sie einzusehen und etwaige Anregungen und Bedenken geltend zu machen. Als Alternative dazu können sie sich einer Sammeleinwendung des Arbeitskreises Wesermarsch und der Aktion Z anschließen, die 14 einzelne Kritikpunkte und Nachforderungen zu den Eon-Plänen umfasst. Alle Einsprüche müssen vor einer Genehmigung des Rückbaus in einem Erörterungstermin (voraussichtlich Anfang 2016 in der Markthalle Rodenkirchen) diskutiert und abgewogen werden. Eine wichtige Rolle spielt dabei der Verbleib der Abfälle.

Das Problem: Alles, was mit dem tückischen, weil radioaktiven Energieträger oder seinen Zerfallsprodukten in Berührung kommt, wird kontaminiert: Gebäude, Arbeitsgeräte, Behälter und Transportfahrzeuge verwandeln sich nach einiger Zeit unweigerlich selbst in strahlenden Abfall, der sorgfältig eingesammelt und sicher verwahrt werden muss. Der Streit, ab wann es sich bei den großen Mengen an Gebäudeschutt um radioaktive Abfälle handelt, ist programmiert. Denn einen der größten Schwachpunkte im Eon-Konzept sehen die Atomkraftgegner darin, dass die radioaktive Belastung des Schutts zwar gemessen, aber alles, was unter dem Grenzwert von zehn Mikrosievert liegt, für eine herkömmliche Deponierung freigeben werden soll. Die Maßeinheit Sievert drückt die Strahlenbelastung biologischer Organismen aus. Den Freigabewert von zehn Mikrosievert pro Mensch und Jahr hält Hans-Otto Meyer-Ott vom Arbeitskreis Wesermarsch für viel zu hoch. Um das Krebsrisiko für die Umgebung zu senken, müsse der Freigabewert auf zwei Mikrosievert gesenkt werden. Das sei seit 2007 Stand der Technik, auch wenn der Wert bisher nicht in die Strahlenschutzverordnung aufgenommen wurde.

Die Absenkung des Grenzwerts würde die Menge an Schutt erheblich erhöhen, der nicht auf einer herkömmlichen Deponie gelagert oder im Straßenbau wiederverwendet werden könnte. Eon kalkuliert schon jetzt mit 482 000 Tonnen Schutt, die beim Abriss der nicht nuklearen Gebäude entstehen. In Driftsethe bei Hagen (Kreis Cuxhaven) soll dafür eine Deponie gebaut werden. Im Kontrollbereich entstehen laut Eon 193 000 Tonnen Abfälle, davon noch einmal 176 900 Tonnen Gebäudeschutt. Weitere 11 900 Tonnen Material sollen nach entsprechender Behandlung für die Beseitigung oder Wiederverwertung freigegeben werden. Nur etwa 4200 Tonnen radioaktiver Abfall müssen nach Eon-Vorstellungen in einem Zwischenlager deponiert werden.

Da es bislang kein atomares Endlager gibt, will Eon auf dem Kraftwerkgelände das „Lager Unterweser für schwach- und mittelradioaktive Stoffe“ (Luna) bauen. Der Antrag dazu liegt ebenfalls bis zum 30. November öffentlich aus. Es wäre nicht das einzige Zwischenlager auf dem Gelände.

Ein Zwischenlager wurde als eine Art Abstellplatz während der Brennelementewechsel benötigt, als das Kraftwerk noch Strom erzeugte. In einem zweiten Zwischenlager stapeln sich die Fässer mit in Beton gegossenen Putzlappen und Handschuhen, Arbeitskleidung, Verpackungen und ähnlichen Dingen. 2007 wurde ein drittes Zwischenlager für die verbrauchten, aber noch immer strahlenden Brennelemente in Betrieb genommen.

Ein sogenannter Castor-Behälter fasst maximal 19 Brennelemente und wiegt bis zu 126 Tonnen. In der Halle ist Platz für 80 solcher Behälter. Nur ein Teil davon wird für Brennstäbe aus dem KKU benötigt, denn im Stilllegungsantrag von 2012 ist von insgesamt 565 Brennelementen die Rede. Ein Drittel der Brennelemente befand sich damals im wassergefüllten Abklingbecken. Wegen der hohen Anfangsradioaktivität sind sie frühestens nach fünf Jahren transportfähig. Dann sollen auch sie ins Zwischenlager für Castor-Behälter verbracht werden.

Nach Ansicht von Meyer-Ott geschieht das illegal. Ein Landwirt hatte gegen die seiner Meinung nach fehlerhafte Betriebsgenehmigung für dieses Zwischenlager geklagt und war vor dem Oberverwaltungsgericht in Lüneburg unterlegen. Das Bundesverwaltungsgericht befand die Entscheidung allerdings als teilweise fehlerhaft und verwies das Verfahren an die Lüneburger Richter zurück. Die neue Verhandlung steht noch aus.

Damit der Rückbau des Atomkraftwerks in Kleinensiel nicht durch ähnlich lange Prozesse verzögert wird, hat der Arbeitskreis dem Betreiber Eon und dem niedersächsischen Umweltministerium als Genehmigungsbehörde inzwischen eine Alternative vorgeschlagen. Nach dem Vorbild des Bürgerdialogs über den Rückbau des Forschungsreaktors Geesthacht in Schleswig-Holstein soll ein Gremium aus Vertretern von Eon, Behörden, Naturschutzverbänden und örtlichen Initiativen einvernehmliche und verbindliche Lösungen für alle Streitfragen finden, über die beim Erörterungstermin keine Einigung erzielt werden kann. Betreiber Eon müsste dafür auf sein formelles Recht verzichten, alleine über den Rückbau zu entscheiden. Die Atomkraftgegner wollen im Gegenzug auf spätere Klagen verzichten.

Ohne eine solche Beteiligung an den Entscheidungen sei eine jahrelange juristische Auseinandersetzung zwischen Eon und der Genehmigungsbehörde einerseits und den Initiativen anderseits programmiert, glaubt Meyer-Ott. Daran habe der Arbeitskreis jedoch kein Interesse. Den Initiativen gehe es nicht darum, den Rückbau zu verzögern, sondern ihn sicherer zu machen.

Meyer-Ott und die anderen Aktiven aus dem Arbeitskreis und der Aktion Z befürchten allerdings auch, dass sie mit ihren Einwendungen wenig erreichen werden. Schon bei der Festlegung der Bewertungskriterien für die Genehmigung zum Kraftwerkrückbau hatten sie 45 Einwendungen und Forderungen – 41 lehnte das Umweltministerium ab.


Atomkraftgegner legen Forderungskatalog vor
Wesermarsch (gj). Der Rückbau des Kernkraftwerks Unterweser (KKU) soll 2017 beginnen und dauert voraussichtlich zehn bis 15 Jahre. Um den Zeitplan einhalten zu können, möchte Betreiber Eon mit dem Rückbau beginnen, noch bevor alle Brennelemente in das bestehende Zwischenlager verbracht sind. Die Atomkraftgegner der Region lehnen das ab.

Mit Unterstützung des Physikers Wolfgang Neumann wollen sich der Arbeitskreis Wesermarsch und die Aktion Z mit fachlich begründeten Einwendungen an dem Genehmigungsverfahren beteiligen. Außerdem haben sie eine Sammel-Einwendung vorformuliert. Sie passt auf ein DIN-A4-Blatt und soll es den Bürgern erleichtern, Einwendungen gegen den Rückbau und das geplante Zwischenlager Luna zu erheben. Wesentliche Forderungen der Atomkraftgegner sind eine Nachrüstung des vorhandenen Zwischenlagers, bevor weitere Brennstäbe eingelagert werden. Wie dieses müsse auch das neue Zwischenlager Luna dem Aufprall eines Airbus 380 und einem Angriff mit Panzerfäusten standhalten können.

Luna soll außerdem eine „heiße Zelle“ erhalten, in der defekte Castor-Behälter mit strahlendem Inhalt repariert werden könnten. Denn die Esenshamm am nächsten gelegene „heiße Zelle“ in Gorleben sei zu weit entfernt. Die Atomkraftgegner fordern zudem eine verbindliche Festlegung über die Finanzierung der Abriss- und Folgekosten und eine verbindlich festgelegte Laufzeit des Zwischenlagers, damit Kleinensiel nicht durch die Hintertür zum Endlager wird.

Anders als von Eon beantragt, lehnen es die Initiativen ab, Atommüll aus anderen Kernkraftwerken auf dem KKU-Gelände einzulagern. Das will auch die Gemeinde Stadland nicht. Sie drängt auch darauf, dass die unterirdischen Teile des Bauwerks entfernt werden. Sie seien eine stetige Gefahr und könnten eine Nachnutzung des Geländes beeinträchtigten, heißt es.

Wichtig ist es den Initiativen, dass eine präzise Bestandsaufnahme der verschiedenen Abfallsorten erfolgt und ihr Verbleib dokumentiert wird (radiologisches Gesamtkataster). Außerdem fordern die Initiativen, dass Eon eine Begründung für die beantragten Abgabemengen von radioaktiven Gasen und Stäuben über Kamin, Festabfälle und Abwasser in die Weser nachliefern muss.

Abgelehnt wird die geplante Umweltverträglichkeitsprüfung durch den als atomfreundlich eingeschätzten TÜV. Damit müsse ein unabhängiges Institut beauftragt werden.

Quelle: Die Norddeutsche vom 27.10.2015 von Georg Jauken

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