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Bremens erster verpackungsfreier Supermarkt.

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Wir testen plastikfreies Einkaufen in Bremen, Neueröffnung im Viertel

Unmengen an Plastikmüll fallen nach jedem Supermarkt-Einkauf an. Das sorgt jedes Mal für ein schlechtes Gewissen. Da verspricht der erste plastikfreie Lebensmittelladen in Bremen Erleicherung. Also nichts wie hin und ausprobieren. Unser Autor Alexander Drechsel ist dort einkaufen gegangen, denn auch er will ökologisch korrekt sein.

Jeden zweiten Montag, wenn ich morgens das Haus verlasse, bietet sich das gleiche Bild: Vor nahezu jedem Hauseingang in der Straße stapeln sich gelbe Säcke. Einen dieser Berge vergrößere ich dann noch mit drei bis vier weiteren der dünnwandigen Beutel. Es ist unfassbar, wie viele Tetrapacks, Käseverpackungen, Plastikschälchen und Jogurtbecher sich in zwei Wochen ansammeln. 20.480 Tonnen dieser Leichtverpackungen fielen nach Angaben des Recyclingunternehmens „Duales System“ allein im Jahr 2015 in der Stadt Bremen an. Jeden zweiten Montag finde ich keine Ausrede: Meine Familie und ich leben bei Weitem nicht so verpackungsarm, wie wir meinen und wollen.

Aber vielleicht können wir unseren ökologischen Fußabdruck künftig etwas verkleinern – Dank des Geschäftssinns von Selcuk Demirkapi. „Ich komme aus einer Familie von Lebensmittelhändlern“, sagt der 31-jährige Bremer und lächelt. “Ich wollte etwas Besonders.“ Demirkapi gerät geradezu ins Schwärmen, wenn er von seinem Laden, dem „SelFair“, erzählt. Mindestens 100 gesunde Lebensmittel wollte er anbieten – natürlich alles Bio. Der eigentliche Clou ist jedoch ein anderer: „Plastikfrei sollte der Laden sein, denn Verpackungen haben einen großen Einfluss auf Umwelt und Gesundheit“, so Demirkapi.

Großes Interesse am „SelFair“ am Eröffnungstag

Großes Interesse am „SelFair“ am Eröffnungstag

Das Einmachglas als Einkaufstüte Ich stehe im „SelFair“ unmittelbar an der Straßenbahnhaltestelle St.-Jürgen-Straße im Viertel und bin im ersten Moment von der Auswahl an Zerealien, Müslisorten, Nüssen, Reis und Hülsenfrüchten und anderen Dingen überfordert. Alles verteilt auf mehr als 100 durchsichtige Behälter, deren Öffnungen nach unten weisen und auf Druck ihren Inhalt freigeben. Weizenflocken? Buchweizen gepufft? Quinoa gepufft? Ich entscheide mich fürs Crunchy Schoko Müsli für 1,40 Euro je 100 Gramm. Die Kinder werden es schon mögen, ist meine Hoffnung, als Flocken und geraspelte Nüsse ins Einmachglas rieseln. Ich hätte statt des Glases auch eine Papiertüte greifen können. Aber das Glas erschien mir sinnvoller, auch wenn ich es extra kaufen muss. Ein zweites Glas fülle ich mit Bio-Spiralnudeln für 90 Cent je 100 Gramm. Noch ein wenig Zucker oder Mehl abfüllen? Das nächste Mal.

Etwa zwei Jahre brauchte Demirkapi von der Idee bis zur Eröffnung des Ladens. Die Idee eines verpackungsfreien oder zumindest verpackungsarmen Ladens ist nicht neu, aber in Bremen ist Demirkapi der Vorreiter. In vielen anderen Städten gibt es dagegen solche Geschäfte schon länger. Demirkapi telefonierte mit den Inhabern der anderen Läden, fragte nach deren Erfahrungen, wollte Fehler nicht zum zweiten Mal machen. Sechs Monate lang kämpfte der studierte Wirtschaftspsychologe dann mit den Vorschriften der Lebensmittelsicherheit.

Selbst Puderzucker kann abgefüllt werden

Selbst Puderzucker kann abgefüllt werden

Kompromisse für das Amt „Die größte Hürde war, das System von unverpackten Lebensmitteln zu installieren – da gibt es ganz viele Vorschriften, ganz viele Kleinigkeiten, die berücksichtigt werden müssen.“ An seiner Feinkosttheke darf Demirkapi beispielsweise keine Behältnisse von Kunden befüllen. Zu unhygienisch, sagt das Amt. Gefüllte Oliven, Peperoni, Weinblätter, Käse und Artischockenherzen wandern deshalb in Bioplastik-Schalen, die abbaubar sind, über die Theke. „Das ist ein Kompromiss, den ich eingehen konnte.“

Die Lieferanten seiner Waren suchte Demirkapi auch danach aus, ob sie die Lebensmittel in Pappe oder Stoff verpacken. „Viele Waren bekommen wir in 25-Kilo-Säcken und wir füllen sie dann um.“ Bei den bereits erwähnten Nüssen, Nudeln und so weiter funktioniert das. Aber gänzlich ohne fremde Verpackung kommt Demirkapi nicht aus. Im Kühlregal finden sich Blechdosen mit Käse oder Gläser mit Wurst. In den Regalen warten Wiener Würstchen in Gläsern sowie Bier- und Weinflaschen auf die Kunden.

Mehr als 100 Behälter zum Selbstabfüllen

Mehr als 100 Behälter zum Selbstabfüllen

Bislang ist nur das „SelFair“ plastikfrei. Eine von Demirkapis ersten Kundinnen ist von der Geschäftsidee trotzdem überzeugt. “Ich finde das gut und das sollte sich durchsetzen“, sagt Angelika Schmidt. Sie wünscht sich mehr als nur ein Geschäft in Bremen, dass verpackungsarm seine Waren verkauft. Sorge um die Hygiene hat die 69-Jährige nicht. „Die Lebensmittel sind so geschützt, dass die Kunden damit nicht in Berührung kommen. Meine Einkäufe fülle ich in eigene Gefäße und da weiß ich, dass sie sauber sind.“

Ich bringe meine Einkäufe zur Kasse: Schafskäse-Salat für die Mittagspause, das Müsli, die Nudeln und ein Glas mit Tomatensoße. Das Hack für die Tomatensoße muss ich woanders kaufen, denn Frischfleisch bietet Demirkapi nicht an. Zu kompliziert, sagt er. „Wo gibt es in der Region echtes Biofleisch, welches Fleisch wird fair gehandelt? Da habe ich keine Erfahrungswerte und deshalb halte ich mich da erst einmal raus.“

10,50 Euro beträgt am Ende meine Rechnung. Auf der Gegenseite stehen zwei wiederverwendbare Einmachgläser und eine Bioplastik-Schale oder anders ausgedrückt eine Tüte für die Nudeln und eine Tüte für das Müsli habe ich als Verpackung eingespart: Mein ökologischer Fußabdruck ist nicht merklich kleiner geworden. Zurückkommen werde ich aber trotzdem, denn die Einkaufsatmosphäre ist eine ganz besondere: Irgendwie fühle ich mich an einen Tante-Emma-Laden erinnert – im besten Sinne.

Ein Beitrag von Janine Horsch
Quelle: Radio Bremen vom 05.10.2016 Autor Alexander Drechsel

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