BI Driftsethe

Bürger-Initiative gegen die Bauschuttdeponie in Driftsethe

Die Vermessung des Müllbergs

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Blockland-Deponie: Wie Ingenieure verborgene Strukturen im Untergrund aufspüren

Von unten sieht der Berg gar nicht so unwegsam aus. Doch die scheinbar sanften Hänge verwandeln sich zu Fuß in schwieriges Gelände. Die Steigung ist für geübte Wanderer natürlich kein Problem, aber der Untergrund ist locker und voller Senken, die unter den plattgewalzten Brombeerbüschen kaum zu erkennen sind. Das Pflanzengestrüpp verrichtet außerdem gute Dienste als Fußangel: Immer wieder verheddern sich die Besucher. „Das ist noch die freundliche Variante, schließlich ist jetzt November“, kommentiert Michael Neidhart den Pfad. „Im Sommer stehen die Büsche hier mannshoch, und dann müssen wir da auch durch“, erzählt der Vermessungsingenieur.

Jannik Penczek mit einem sogenannten Tachymeter. Mit dem Gerät wird ausgemessen, wie sich der Deponie-Berg verändert, wenn neue Abfälle hinzukommen. Fotos Frank Thomas Koch

„Wir“, das sind vor allem seine Kollegen von der Bau- und Planungsvermessung bei Geoinformation Bremen, wie das Landesvermessungsamt seit 2002 heißt. Regelmäßig kraxeln die Ingenieure und ihre Vermessungsgehilfen über die Blockland-Deponie, um die stetige Entwicklung des Müllbergs genau zu dokumentieren. Denn die seit gut 50 Jahren betriebene Deponie ist nicht einfach ein zufällig aufgeschichteter Berg Müll. Tatsächlich stellt sie ein komplexes Bauwerk dar, dessen Errichtung mittlerweile einem genau vorgegebenen Plan folgt.

Das war nicht von Beginn an so: Als sich Bremen die Deponie Anfang der 1960er-Jahre zulegte, gab es keine speziellen Vorschriften zur Abfallentsorgung. Der Müll wurde einfach unter freiem Himmel abgeladen. Von Wertstoffen, Recycling oder Mülltrennung keine Spur: Der Hausmüll aus zahlreichen Verpackungen und Essensresten lag direkt neben der Autobahn einträchtig mit Bauschutt, Industrieabfällen und der damals noch reichlich anfallenden Asche aus den vielen privaten Kohleöfen zusammen. „Tausende von Möwen gaukelten auswärtigen Autofahrern vor, ihr Ferienziel Nordseeküste bereits erreicht zu haben“, hieß es rückblickend zu dieser Phase schon 1976 im ¬WESER-KURIER.

Erst 1969 wurde die Deponie begrenzt auf überwiegend mineralische Abfälle wie zum Beispiel Böden, Bauschutt, Schlacken, Strahlsande und Asbest. Parallel dazu entstand für den Hausmüll 1970 die Müllverbrennungsanlage. Aber erst ab 1973 sicherte ein Bebauungsplan die langfristige Existenz der Deponie. Mit jährlich 350.000 bis 500.000 Kubikmeter Bodenaushub, Bauschutt und weiteren nicht verbrennbaren Abfallstoffen kalkulierten die Verantwortlichen damals. In einem genau abgegrenzten Gebiet sollten so in den nächsten 20 bis 25 Jahren etwa zehn Millionen Kubikmeter Abfälle abgelagert werden. Für die Zeit nach der Jahrtausendwende war ein „Freizeit- und Sportparadies Kleine Wümme“ vorgesehen. Auf dem dann 65 Meter hohen „Big Wümm“ sollten Rodel- und Skiabfahrten möglich werden und Liegewiesen entstehen. Mit Campingplätzen, Rad- und Fußwegen sowie einer Seenplatte mit Wassersportflächen stellten die Planer eine Erholungslandschaft in Aussicht, mit dem neuen Bremer Hausberg im Mittelpunkt.

Das 3D-Modell der Deponie: Schwarze und blaue Bereiche zeigen das zuletzt erfasste und neue hinzugekommene Material.

„Wir gehen davon aus, hier noch rund zehn Jahre lang weitere Abfälle deponieren zu können“, sagt der heutige Betriebsleiter Lars Aulich. Damit bietet die Deponie rund 30 Jahre länger Raum für Abfälle, als sich die Verantwortlichen das Anfang der 1970er-Jahre gedacht haben. Auch von den für das Jahr 2000 vorgestellten Ausmaßen ist man weit entfernt. Die Vermessungsingenieure von Geoinformation Bremen geben den höchsten Punkt derzeit mit 47,92 Meter an, wobei sich das täglich ändern kann. Und die bislang abgelagerten rund 9,1 Millionen Kubikmeter haben auch 17 Jahre nach der Jahrtausendwende nicht die ursprünglich kalkulierten Mengen erreicht. Dennoch entspricht das Volumen der Deponie bereits einer rund 4.000 Kilometer langen Fahrzeugschlange mit rund 450.000 Müllwagen.

Und die Grundfläche der Deponie hat sich im Laufe der Zeit auf mehr als 39 Hektar erweitert. Immer wieder wurde angebaut. Allein 1991 kamen rund elf Hektar am nördlichen Ende hinzu. Da waren schon wasserdichte Kunststoffplanen vorgeschrieben, die verhindern sollen, dass zum Beispiel durch Regen umweltgefährdende Stoffe in den Boden eindringen. Denn abgelagert werden in diesem Abschnitt vor allem Schredderabfälle aus der Zerkleinerung von Altautos und Haushaltsgeräten, sowie belastete Böden, Asbest, künstliche Mineralfasern und sonstige mineralische Abfälle.


Bereits seit den 1950er-Jahren dokumentiert die Bremer Landesvermessung mit Luftbildern die Entwicklung der Stadt und damit auch der Blocklanddeponie. Die daraus hergestellten Orthophotos sind maßstabsgetreu entzerrt, sodass jeder Punkt auf Meereshöhe dargestellt ist, unabhängig von Hügeln oder Senken im Gelände. Darum können die Bilder wie eine Karte benutzt werden. Sie zeigen die Entwicklung von den Anfängen auf der Wiese bis zum heutigen Berg. So erkennt man 1972 auch den Bau des Autobahnkreuzes oder 1991 die elf Hektar große Erweiterung der Deponie im Norden.

Neue Umweltgesetze in den 1980er-Jahren sowie immer neuen Deponieflächen brachten die Vermesser ins Spiel. Seit rund 35 Jahren kontrollieren sie mit ihren Wanderungen über den Berg, dass der mittlerweile entwickelte Plan für die Deponie Realität wird. „So ein Deponiekörper ist ein ziemlich dynamisches Gebilde“, sagt Neidhart. Jede Veränderung im Gelände wird darum präzise dokumentiert und führt am Ende zu einem aktuellen digitalen 3D-Modell des Berges. Der so ermittelte Ist-Zustand kann dann vergleichsweise schnell mit dem angestrebten Soll-Zustand abgeglichen werden. „Aus unseren Vermessungen lässt sich ableiten, wie das Material auf dem Berg geschichtet werden muss“, erläutert Jannik Penczek.

Die Vermesser Jannik Penczek und Michael Neidhardt von GeoInformation Bremen

Auch er gehört zu den Bau- und Planungsvermessern bei Geoinformation Bremen. Die Abteilung ist immer dann gefragt, wenn eine Planung vom Papier in die ¬reale Landschaft eingepasst wird, ganz gleich ob es sich um ein Gebäude, eine Straße oder eben einen Müllberg handelt. „Wir sagen den Bauleuten, wo die Punkte aus ihren Plänen in der Wirklichkeit sind“, erklärt es Penczek. Wobei das weniger gesagt als vielmehr mithilfe von Stöcken markiert oder abgesteckt wird, wie es der Fachmann ausdrückt. Das ist nicht so trivial, wie es klingt. Vor allem, wenn es um Genauigkeiten im Bereich von Zentimetern geht, bedeutet das einen gewissen Aufwand. Wichtig dafür sind sogenannte Festpunkte, also Punkte, von denen der Vermesser alle Koordinaten inklusive der Höhe über dem Meerspiegel sicher kennt. Genau dort muss er sein Vermessungsgerät platzieren. „Dann können wir über Entfernungs- und Winkelmessung neue Punkte präzise vermessen oder eben vorgegebene Punkte in der Landschaft finden“, erläutert Penczek. Alternativ werde auch mit GPS gemessen, aber das sei weniger genau.

Die Blocklanddeponie ist mit einem ganzen Netz solcher Festpunkte ausgestattet. Sie liegen auf dem Asphaltweg rund um den Berg und auch mitten auf der Deponie. Die Expeditionen der Vermesser über frisch aufgeschichteten Bauschutt und durch Dornbüsche an sonst wenig inspizierten Stellen des Berges, dienen vor allem dem Besuch solcher Festpunkte.

Mit einem Stiefel markierter Messpunkt

„Das ist mein alter Gummistiefel“, deutet Neidhardt auf den Schuh an der Spitze eines Metallstabes. Der Stab endet in einem massiven Betonpoller, auf dem mittels eines Winkelschleifers ein Kreuz eingeritzt wurde: der Festpunkt. „Im Sommer ragt wirklich nur der Stiefel aus dem Grünzeug“, erklärt der Ingenieur die eigenwillige Markierung. Vor allem Absenkungen der Deponie werden mit der regelmäßigen Messung der Punkte dokumentiert. Über zwei Meter kann so ein Punkt und mit ihm die umgebende Fläche im Laufe von 20 Jahren absacken. „Wenn man das genau weiß, kann man dort natürlich wieder neues Material bis in zwei Meter Höhe hinschieben“, erklärt Neidhardt. Mit präzisen Messungen gewinnt man gewissermaßen Deponiekapazitäten.

Das 3D-Modell des Berges zeigt inzwischen sehr genau, wo noch etwas hinkann und wo der Müll bereits zu hoch aufgeschichtet wurde. Auch das kommt vor, und es kann im Extremfall die Statik des Berges gefährden. „Wir haben vorgeschriebene Hangneigungen, damit der Berg nichts ins rutschen kommt“, erläutert Neidhart den Hintergrund. In der Praxis müssen die Vermesser ihre Festpunkte übrigens gegen Müllwagen, Müllverdichter und Planierraupen verteidigen, die auf der Deponie unterwegs sind. „Für diese Maschinen ist so ein Betonpoller nicht wirklich ein Hindernis“, hat Penczek bei seinen Messungen auf der Blocklanddeponie gelernt.

Bei der Überwachung des – im wahrsten Sinne des Wortes – Bergbaus, prüfen die ¬Vermesser zudem regelmäßig, ob die Windräder auf dem Berg noch aufrecht genug stehen. Absteckungen für neue Wege gehören ebenfalls zu ihren Aufgaben. Und schließlich dokumentieren sie, wo die Leitungen liegen, mit denen Abgase und Sickerwasser aus der Deponie abgeführt werden. „Irgendwas liegt immer an“, kommentiert Neidhardt die mehr als 40 Visiten seiner Leute pro Jahr. Die Bewegungen des Berges sind außerdem noch nach Schließung der Deponie zu überwachen – 30 Jahre lang. „Unsere Nachfolger werden hier immer noch unterwegs sein“, ist sich Michael Neidhardt sicher.

Quelle: Weserkurier vom 26.11.2017 von Timo Thalmann

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