BI Driftsethe

Bürger-Initiative gegen die Bauschuttdeponie in Driftsethe

Es gibt keine unschädliche ionisierende Strahlung

| Keine Kommentare

Am Ende gilt doch:

Wer hätte gedacht, dass der Beschluss der Bundesregierung, die Meiler der Atomkraftwerke früher abzubauen als geplant, eines Tages auch die Ärzteschaft in Baden-Württemberg unmittelbar tangieren würde? Dass gar ein Beschluss unserer Vertreterversammlung den Unmut des hiesigen Umweltministeriums hervorrufen würde? Doch der Reihe nach.

Dr. Ulrich Clever
Präsident der Landesärztekammer
Baden-Württemberg

Damals, „nach Fukushima“, dürften die meisten Deutschen mit der Entscheidung der Bundesregierung zum Abbau aller Atomkraftwerke im Lande (zu einem deutlich früheren Zeitpunkt als ursprünglich vorgesehen) einverstanden gewesen sein. Dass dabei viele Fragen unbeantwortet blieben, erschloss sich dem, der etwas mehr nachdachte: Mit Fragen rund um die endgültige Lagerung des Bauschutts und die Verantwortung dafür hatte man sich nämlich zunächst gar nicht beschäftigt.

So kam es, dass auch unsere Vertreterversammlung im Herbst 2016 zum medizinisch relevanten Teil der Lagerungsproblematik von radioaktivem Abfall diskutierte und eine Entschließung fasste.

Beschlüsse unseres höchsten Kammerorgans werden übrigens deutlich mehr als in der Vergangenheit in Presse und öffentlicher Meinung wahrgenommen. Und auch die Politik kann sich den mit großer Mehrheit gefassten Entscheidungen der Landesärztekammer inzwischen kaum mehr entziehen.

Beim hiesigen Umweltministerium kam dabei jedoch keine Freude auf: Unser Beschluss war dem Ministerium und vor allem Minister Franz Untersteller selbst ein Dorn im Auge. Denn sowohl zur sogenannten Freimessung radioaktiv niedrig strahlenden Mülls aus den abzubauenden Atomkraftwerken im Ländle als auch zur Ablagerung auf Hausmüll-Deponien formulierten die Delegierten eine kritische Haltung. Zudem wurde unsere Resolution postwendend von Gegnern der Verteilung des Schutts auf Mülldeponien, wie es das Ministerium nun (nach Aufhebung eines bis dahin von ihm selbst gesetzten Moratoriums) plante, als Unterstützung für deren Protest genutzt.

Dr. Norbert Fischer
Vorsitzender des Ausschusses
„Prävention und Umwelt“
Landesärztekammer
Baden-Württemberg

Worum ging es den Ärztinnen und Ärzten der Vertreterversammlung? Dass der Abriss von Atomkraftwerken eine große Menge unterschiedlich stark radioaktiv strahlenden Schutt mit sich bringt, ist leicht nachvollziehbar. Der größte Teil hiervon ist allerdings kaum (bis gegebenenfalls auch gar nicht) radioaktiv belastet. Die gleichmäßige Verteilung auf konkret genannte Hausmülldeponien entlässt das Material aber aus der sogenannten „atomrechtlichen Aufsicht“ – selbst wenn bis zu einer Grenze von 10 Mikrosievert eine Reststrahlung besteht.

Unter dem Gedanken der fehlenden unteren Grenze für eine Niedrigstrahlung, die für Mensch und Tier etwa unbedenklich sei, kritisierte die Vertreterversammlung die Methodik der „Freimessung“ und forderte den Verbleib der Müllmengen auf den sowieso weiter zu verwaltenden Arealen der alten Atommeiler.

Es ging den Delegierten unserer Vertreterversammlung nicht etwa um die wissenschaftliche Frage (wie das Ministerium leider bis heute vermutet), ob es sich um eine kleine („vernachlässigbare“) Strahlungsmenge handelt oder nicht. Sondern es wurde nicht akzeptiert, dass die sogenannte Minimierungsdosis von 10 Mikrosievert (wie von deren Befürwortern beschrieben) „im Rauschen der allgemeinen und ubiquitären Strahlenbelastung aller Menschen“ untergeht, sie addiert sich nämlich zur sowieso schon bestehenden „Grundstrahlung“.

Vor diesem Hintergrund veranstalteten wir Anfang Februar 2018 ein Symposium zu gesundheitlichen Risiken gering radioaktiver Strahlenbelastung beim Rückbau von Atomkraftwerken und in Folge medizinischer Anwendungen. Der Teilnehmerkreis war nicht nur hochkarätig, sondern man war sich auch unwidersprochen einig: vom Vertreter des Ministeriums über die Antragsteller der Entschließung bis zum Vorsitzenden der Strahlenschutzkommission wurden die gleichen Zahlen und Verhältnisse zwischen natürlicher und artifizieller Strahlung vorgetragen.

So klein die Strahlenbelastung auch sein mag: bei der gleichmäßigen Verteilung von Schutt aus dem Abbau von Atommeilern auf lokalen Deponien (und der „Entlassung“ des Materials aus der sogenannten Atomaufsicht) wird es zu einer Erhöhung von Strahlung gegenüber dem natürlichen „Grundrauschen“ kommen.

Die Ärzteschaft weiß, dass es keine unschädliche ionisierende Strahlung gibt. Daher sollte nach unserer Überzeugung das baden-württembergische Umweltministerium das Moratorium noch einmal aufgreifen und nach anderen Wegen zum Umgang mit dem Atomkraftwerk-Schutt suchen, um den größtmöglichen Schutz der Bevölkerung nachhaltig sicherzustellen. Die Landesärztekammer Baden-Württemberg sieht sich auch künftig in der Pflicht und Verantwortung, dies einzufordern.

Quelle: Ärzteblatt Baden-Württemberg vom März 2018
von Dr. Ulrich Clever und Dr. Norbert Fischer


Damit ist offensichtlich:
Die Pressemitteilung des Baden-Württembergischen Umweltministeriums vom 16.2.18
„Freigegebene Abfälle dürfen auf Deponien in Schwieberdingen und Vaihingen/Enz“
Umweltminister Franz Untersteller: „Unsere besonders strengen Vorgaben stellen den Schutz der Bürgerinnen und Bürger sicher. Die gesundheitliche Unbedenklichkeit hat uns auch die Bundesärztekammer ausdrücklich bestätigt.“
ist sachlich nicht mehr zu halten.

Schon die Überschrift stimmte nicht, denn der Deutsche Ärztetag hatte sich mit überwältigender Mehrheit kritisch zum Freigabeverfahren geäußert und dessen offizieller Beschluss hat inhaltlich und formal weiterhin Bestand. Durch eine ganztägige Bearbeitung des Bundesärztekammerpräsidenten durch Unterstellers offiziellen Strahlenschützer im November letzten Jahres unter bewusstem Ausschluss der kritischen Wissenschaftler und Ärzte war es ihm kurzfristig gelungen, zumindest einen ihm genehmen Gegenbeschluss des Vorstands (!) der Bundesärztekammer zu provozieren.

Was ist das für ein Politikstil des Grünen Ministers?
Er sucht nicht die Auseinandersetzung mit den Sachargumenten der Kritiker an dem willkürlichen unwissenschaftlichen Freigabekonzept, das auf Risikoeinschätzungen aus den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts beruht und das er für die Kernkraftwerkbetreiber vehement durchkämpft, und schon gar nicht nach besseren Alternativen, die die Kritiker mit Gutachten schon belegt haben- hierfür fehlt ihm der politische Mut – schlimmer noch: er integriert in die Ärzteschaft hinein und verkauft dies als seinen politischen Erfolg.

Alle Ärzte Baden-Württembergs haben nun mit diesem Editorial erfahren, dass neben dem kritischen Beschluss zur Freigabe der Vertreterversammlung der Ärzteschaft Baden-Württembergs, der ebenso wie der bundesdeutsche Beschluss auch weiterhin inhaltlich und formal Bestand hat, auch die ärztlichen Kammerspitzen nach ausgiebiger Beschäftigung mit dem Thema dem Grünen Minister Untersteller nicht folgen wollen.

Explizit fordern auch sie ein neues Moratorium und endlich die ernsthafte Beschäftigung mit den Alternativen der Entsorgung des Freimessmülls jenseits der konventionellen Bauschuttdeponien. Da der Baden-Württembergische Kernkraftwerkbetreiber EnBW je zu 50% in der Hand der oberschwäbischen Landkreise und des Landes Baden-Württemberg ist ist, hat er die politischen Mittel hierzu. Diese zu nutzen ist auch unbedingt erforderlich, denn für zehntausende Tonnen von zu deponierendem Freimessmüll aus dem Landkreis Karlsruhe stehen dort keine möglichen Deponien zur Verfügung, so dass das Ministerium eh landesweit ein Konzept politisch gestalten und dies nicht an die Landräte abdrücken sollte. Auf den Gelände der Kernkraftwerke, wo ohne fehlendes Endlager die Castoren verbleiben müssen, ist die grüne Wiese längst Illusion. Hier sollte der Freimessmüll unter Fortbestand der Atomaufsicht verbleiben und nicht im Land ohne weitere Nachsorge verteilt werden.

Dem Ludwigsburger Landrat Dr. Haas hatten Untersteller und der Staatsminister Murawski unmissverständlich klar gemacht, dass sie die Annahme des Freimessmülls vom Ludwigsburger Anteil des AKWs Neckarwestheim auf die kreiseigenen Deponien Schwieberdingen und Horrheim trotz der überwältigenden Kritik auch aus dem Kreistag erzwingen würden. Haas versucht die bisher unausweichlich scheinende Annahme des AKW-Mülls mit seinen Fachleuten und in Diskussion mit den Kritikern abzumildern. So ließ er eine Handlungsanleitung Plus von der AVL entwickeln, die einige der Sorgen der Anwohnerinnen und Anwohner der Deponien freiwillig aufgenommen hat.

Nun ist es an Minister Untersteller, sich erstmals bei dem Thema auch zu bewegen. Auch seine Wähler wollen endlich von ihm in dieser Frage Taten sehen. Ein erster Schritt wäre es, wenn er sich erstmals in den letzten Jahren überhaupt den Kritikern persönlich stellt.

Die Diskussion geht längst über die Anwohnergemeinden und die Ärzteschaft, die ihren Präventionsauftrag ernst nimmt, hinaus.

HERZliche Grüße
Dr. med. Dierk-Christian Vogt
Schwieberdingen

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.