BI Driftsethe

Bürger-Initiative gegen die Bauschuttdeponie in Driftsethe

Kompliziert und kostspielig. Darum dauert es so lange, ein Atomkraftwerk abzubauen

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Deutschland will bis zum Jahr 2022 aus der Atomenergie aussteigen

Bis zum Jahr 2022 will Deutschland komplett aus der Atomenergie ausgestiegen sein. Doch bis ein Atomkraftwerk wirklich aus der Landschaft verschwindet, vergehen oft Jahrzehnte. Der Abbau ist kompliziert, das Prozedere langwierig, die Kosten enorm.

• Derzeit werden in Deutschland 16 Atomreaktoren stillgelegt.
• Vor dem Rückbau gilt es zu entscheiden, ob es einen sofortigen Rückbau geben soll oder einen sicheren Einschluss mit späterem Abriss.
• Rund 97 Prozent der Überreste lassen sich so dekontaminieren, dass sie als normale Abfälle gelten oder wiederverwendet werden können.

Bild dpa Sebastian Kahnert

Bild dpa Sebastian Kahnert

Mit dem Ende der DDR kam auch das Aus für das örtliche Atomkraftwerk über Lubmin. Das Kraftwerk nahe Greifswald wurde aus Sicherheitsgründen abgeschaltet. Denn die fünf Druckwasserreaktoren sowjetischer Bauart genügten den Anforderungen des bundesdeutschen Atomrechts nicht. Nur mit viel Geld hätte man sie umrüsten können. Im Dezember 1990 ging der letzte Block vom Netz.

Mitarbeiter sind jahrelang mit dem Abriss der Kraftwerke beschäftigt
Aus dem einstigen Betreiber, dem Kombinat Kernkraftwerke „Bruno Leuschner“, gingen die Energiewerke Nord GmbH (EWN) hervor. Ehemalige Mitarbeiter der Meiler in Lubmin und im brandenburgischen Rheinsberg sind seit Jahren damit beschäftigt, die Kraftwerke abzureißen. Denn inzwischen kümmert sich das Unternehmen um Stilllegung, Rückbau und Entsorgung von Kernkraftwerksblöcken.

Acht Reaktoren sind bereits vom Netz
16 Reaktoren werden in Deutschland derzeit stillgelegt. In den Monaten nach der Katastrophe von Fukushima im März 2011 nahm die Bundesregierung ihre Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke zurück und beschloss einen schrittweisen Atomausstieg bis 2022. Acht Reaktoren gingen sofort vom Netz.

Neun Kraftwerke werden in nächsten sieben Jahren abgeschaltet
Wobei die Zahlen schnell Verwirrung stiften: Landläufig gelten etwa die beiden Reaktoren im baden-württembergischen Philippsburg als ein Kraftwerk, rechtlich sind es aber zwei. Block 1 wurde 2011 abgeschaltet. Block 2 hingegen ist eines von neun Kraftwerken, die noch am Netz sind. Sie sollen in den nächsten sieben Jahren abgeschaltet werden: 2015, 2017 und 2019 jeweils eines, 2021 und 2022 jeweils drei.

Doch wie baut man ein Atomkraftwerk ab?
„Ob man sich schon beim Bau der Anlagen Gedanken darüber gemacht hat, dass sie irgendwann wieder zurückgebaut werden müssen, weiß ich nicht“, sagt Marlies Philipp, Ingenieurin und Sprecherin bei EWN. „Für unsere Anlage trifft das nicht in allen Fällen zu.“ Zum Beispiel gab es in manchen Bereichen bereits eigens Luken in den Wänden für die Demontage. An anderen Stellen mussten Arbeiter für den Abbau dagegen erst solche Löcher in die Wände schneiden.

Nachbetrieb, Stilllegung, Rückbau
Mittlerweile ist das Verfahren zum Abbau in Deutschland erprobt. Es läuft in verschiedenen Phasen ab: Auf den normalen Betrieb folgt mit der Abschaltung einer Anlage der sogenannte Nachbetrieb. Erst danach kommt die Stilllegung, in der der eigentliche Rückbau beginnt. Am Ende steht die Entlassung aus der Atomaufsicht. Nach dem Gebäudeabbau ist schließlich jener Zustand erreicht, der als „grüne Wiese“ umschrieben wird. Die Verantwortung für sämtliche Schritte des Abbaus liegt beim Betreiber.

Zunächst einmal wird die Anlage abgeschaltet. „Der Betrieb endet dann, wenn der Reaktor keinen Strom mehr produziert, wenn also keine nukleare Kettenreaktion mehr stattfindet“, erklärt Prof. Antonio Hurtado, Direktor des Instituts für Energietechnik an der Universität Dresden.

„Wir sind mitten aus dem Leben abgeschaltet worden“
Dann folgt die Phase des Nachbetriebs: Eigentlich sollte zum Zeitpunkt der Abschaltung so wenig Kernbrennstoff wie möglich in der Anlage sein. Aber: „Wir sind mitten aus dem Leben abgeschaltet worden“, sagt Marlies Philipp zum Kraftwerk Lubmin. Alle Brennelemente waren also noch in der Anlage. So war es auch bei allen acht Kraftwerken, die 2011 vom Netz gingen.

Entfernte Brennelemente müssen bis zu fünf Jahre in Wasser lagern
Die Brennelemente müssen aus dem Reaktor entfernt werden und vier bis fünf Jahre in einem mit Wasser gefüllten Becken zwischenlagern. Dort soll die hohe Temperatur abklingen. Denn radioaktive Zerfallsprozesse laufen weiter ab. Die dabei entstehende Wärme müssen die Verantwortlichen abführen. „Wenn die Brennstäbe eine bestimmte Temperatur erreicht haben, können sie in Castoren gelagert werden“, sagt Philipp.

Leitungen lassen sich mit Säure dekontaminieren
In der Zwischenzeit kann die Dekontamination anderer Bereiche beginnen. „Um ein Kraftwerk herum hat man noch Anlagen, die man nicht mehr braucht“, erläutert Philipp und verweist etwa auf Leitungen in nicht mehr benötigten technischen Systemen. Die lassen sich mit Säure abspülen und so dekontaminieren.


 

Direkter Rückbau oder sicherer Einschluss.
Welche Variante des Rückbaus ist die bessere?

Bild dpa Uwe Anspach

Bild dpa Uwe Anspach

Ein Atomkraftwerk zu schließen und abzureißen kostet sehr viel Zeit
All diese Schritte des Nachbetriebs fallen noch unter die weiterhin gültige normale Betriebsgenehmigung des Kraftwerkes. Für die folgende Phase der Stilllegung braucht der Betreiber dagegen eine neue Genehmigung. Dazu muss er bei der Atomaufsichtsbehörde des jeweiligen Bundeslandes einen Antrag auf Rückbau stellen.

Bewilligung kann Jahre dauern
Bis der bewilligt wird, können Monate bis Jahre vergehen, wie Prof. Sascha Gentes vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) erklärt. Das liegt daran, dass der Betreiber für jeden einzelnen Schritt die Vorgehensweise erläutern und teilweise auch in großem Maßstab überprüfen muss.

„Man muss zum Beispiel von einem Reaktordruckgefäß ein Teil im Maßstab 1 zu 1 bauen, um daran den Abbau mit fernhantierten Verfahren testen zu können“, berichtet Gentes. „Und das ist nur die Genehmigung für einen Rückbauschritt.“

Die Entscheidung: Sofortiger Rückbau oder Einschluss mit späterem Abriss?
Vor der Stilllegung stellt sich zudem eine zentrale Frage: Soll es einen sofortigen Rückbau geben oder einen sicheren Einschluss mit späterem Abriss? Beim sicheren Einschluss entfernen Arbeiter zunächst Brennelemente und radioaktive Stoffe wie Kühlmittel oder Gase. Dann wird die Anlage versiegelt. In diesem Zustand bleibt das Kraftwerk meist für mehrere Jahrzehnte.

„Man lässt die Zeit für sich arbeiten“
Dieses Vorgehen bietet die Vorteile, dass die radioaktive Belastung später geringer ist und sich die Technik in der Zwischenzeit fortentwickelt haben könnte. „Man lässt die Zeit für sich arbeiten“, sagt Hurtado. „Die Radionuklide zerfallen ja, und je länger diese hochkontaminierten Komponenten nicht angefasst werden, umso geringer ist der Aufwand für die Dekontamination.“ Auch die noch immer ungeklärte Endlagerfrage könnte dann, so die Hoffnung, einer Lösung nähergekommen sein.

Direkter Rückbau bietet einige Vorteile
Allerdings werden die Mitarbeiter, die das Kraftwerk bis ins Detail kennen, nach Jahrzehnten womöglich nicht mehr arbeiten. Beim sofortigen Rückbau könnten sie dagegen noch helfen. Das zügigere Verfahren bietet zudem einen Sicherheitsvorteil: In der kürzeren Zeit ist die Gefahr geringer, dass ein unvorhergesehenes Ereignis wie etwa eine Naturkatastrophe auftritt. „Aus Risikosicht ist es besser, wenn die stark kontaminierten Teile bereits zerkleinert in Behältern vorliegen, vielleicht sogar möglicherweise schon in die Endlagerstätte gebracht werden“, meint Hurtado.

Kernkraftwerk bei Landshut entschied sich für sicheren Einschluss
Den sicheren Einschluss wählte man etwa in Niederaichbach. Das bayerische Versuchskraftwerk bei Landshut wurde 1974 abgeschaltet, aber erst 1987 bis 1995 abgerissen. Es ist eines von drei Versuchskraftwerken in Deutschland, die inzwischen komplett rückgebaut sind.

Sofortiger Rückbau gestaltet sich schwierig
Bis vor kurzem konnten Betreiber ihre Reaktoren einzeln nacheinander zurückbauen. Doch nach Fukushima ist die Situation eine andere: Gerade im Zuge der Energiewende werden sie für mehrere Standorte den sicheren Einschluss wählen, glaubt Hurtado.

„Für den einen oder anderen Reaktor wird uns wahrscheinlich nichts anderes übrig bleiben, denn es wird eine Herausforderung sein, so viele Anlagen dieser großen Leistungsklasse gleichzeitig zurückzubauen. Wenn wir bedenken, dass wir dafür auch die entsprechende Logistik brauchen, um diese Mengen entsprechend lagern zu können, ist ein sofortiger Rückbau von allen Anlagen gleichzeitig schwierig.“

In Lubmin entschied sich EWN noch für den sofortigen Abbau. 24 Jahre nach Abschaltung des Kraftwerkes ist der Rückbau der fünf Druckwasserreaktoren in der Endphase. Bislang wurden 1,8 Millionen Tonnen Abfall entsorgt.

Was tun mit radioaktivem Müll?
Dieser radioaktive Müll birgt das nächste Problem. Der Aufwand dafür hängt davon ab, zu welcher von drei Kategorien er zählt. Nur ein geringer Teil ist wärmeentwickelnd, also hoch radioaktiv: Er wird – gemeinsam mit den Brennelementen aus den Reaktoren – in Castoren gelagert. Sie sind für jenes Endlager bestimmt, nach dem derzeit noch gesucht wird.

Reste mit sogenannter vernachlässigbarer Wärmeentwicklung gelten als schwach- oder mittelradioaktiv: Zu dieser zweiten Kategorie gehören etwa drei Prozent der Abfälle, die bei der Stilllegung eines Kernkraftwerkes anfallen. Sie sollen einmal im Schacht Konrad in Salzgitter untergebracht werden, der voraussichtlich Anfang des kommenden Jahrzehnts in Betrieb geht.


 

Überraschungen können Rückbau verzögern
Ein Großteil der Überreste lässt sich dekontaminieren

Bild dpa

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Rund 97 Prozent der Überreste eines Kernkraftwerkes lassen sich so dekontaminieren, dass sie als normale Abfälle gelten oder sogar als Wertstoffe wieder in den Wirtschaftskreislauf gelangen können.

Zum Reinigen oberflächlich kontaminierten Mülls gibt es folgende Möglichkeiten:
• Chemische Dekontamination:Das kontaminierte Teil kommt in ein Säurebad. Die Säure trägt die Oberfläche ab, auf der die radioaktiven Stoffe liegen.
• Hochdruckreinigerkönnen die radioaktiven Stoffe, die zum Beispiel im Rost oder in Beschichtungen stecken, mit einem enormen Druck von 3000 Bar von der Oberfläche spülen. Anschließend muss das Wasser gesondert gereinigt werden.
• Trockenstrahlen, zum Beispiel mit Stahlkies: Dieser wird mit ungefähr 5 Bar auf die Oberfläche geschossen, um die kontaminierten Schichten zu entfernen. Der Kies ist mehrmals verwendbar, solange der anfallende Staub aussortiert wird.

Betreiber sind an Dekontamination interessiert
Anschließend messen Gutachter, ob die Radioaktivität unterhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Freigabewerte liegt, wie Jörg Feinhals vom Deutsch-Schweizerischen Fachverband für Strahlenschutz erklärt.

„Je mehr radioaktiver Abfall nicht freigegeben wird, desto mehr bleibt für die Lagerung und desto größer ist der Platzbedarf für die Zwischen- und Endlagerung“, erklärt Feinhals. „Es gibt also ein natürliches Interesse der Betreiber, möglichst viel radioaktiven Abfall so zu dekontaminieren, dass er wie gewöhnlicher Müll behandelt werden kann.“

Anwohner fürchten um ihre Gesundheit
Doch gerade solcher Abfall führte kürzlich auf einer Deponie im sächsischen Grumbach zu Protesten: Weil die Verantwortlichen dort Bauschutt aus dem niedersächsischen Atomkraftwerk Stade entsorgen, fürchteten Anwohner um ihre Gesundheit. Das sächsische Umweltministerium dagegen hält die Reste für unbedenklich: Die zu erwartende Strahlenbelastung für Beschäftigte der Deponie oder Anwohner liege unter dem Grenzwert von 10 Mikrosievert pro Jahr.

Aber was wird in welcher Reihenfolge abgebaut?
Beim Kernkraftwerk Stade, das 2003 vom Netz ging und seit 2005 stillgelegt wird, sind es vier Phasen, die sich zum Teil überlappen. Um Platz für spätere Arbeiten zu schaffen, entfernten die Betreiber zunächst möglichst viele Systeme aus dem nuklearen Bereich – etwa Flutwasserbehälter oder Druckspeicher. Danach kümmerten sie sich um Primärkühlmittel einschließlich der Pumpen sowie die Dampferzeuger. Phase 3 galt dann den am stärksten radioaktiv kontaminierten Komponenten: dem Reaktordruckbehälter und seiner Betonabschirmung. Schließlich bauten die Betreiber die noch verbliebenen Systeme im Kontrollbereich ab, darunter die Abwasseraufbereitungsanlage und die Abluftanlage.

Rückbau des Reaktors in Stade verzögert sich
Eigentlich sollte der Rückbau von Stade 2014 abgeschlossen sein. Doch vor einem Jahr entdeckten Arbeiter im Sockel des Reaktorgebäudes radioaktiv verunreinigtes Wasser. Versickert war es vermutlich schon kurz nach Inbetriebnahme des Kraftwerks 1972. Der Fund verzögert den Rückbau des Meilers um mindestens drei Jahre. Frühestens Ende 2017 sollen die Arbeiten nun soweit abgeschlossen sein, dass das Gelände aus der Atomaufsicht entlassen werden kann.

Überraschungen treiben Kosten in die Höhe
Solche Überraschungen treiben die Kosten in die Höhe. Ursprünglich hatte der Stromkonzern E.ON für den Rückbau von Stade 500 Millionen Euro veranschlagt. Derzeit schätzen Experten die Gesamtkosten auf eine Milliarde Euro.

Betreiber müssen Kosten für Stilllegung selbst tragen
Laut Atomgesetz müssen die Betreiber sämtliche Kosten für Stilllegung und Abbau der Kernkraftwerke wie auch für die Entsorgung radioaktiver Abfälle tragen. Den Rückbau der ehemals staatseigenen Atomkraftwerke der DDR zahlt dagegen die Bundesrepublik. EWN hatte für die Kraftwerke Lubmin und Rheinswald zunächst 3,2 Milliarden Euro veranschlagt. Mittlerweile ist das Unternehmen bei 4,2 Milliarden Euro angekommen.

EWN bildet übrigens junge Menschen in Stilllegung und Entsorgung nuklearer Anlagen aus. Ein Job mit Zukunft, wirbt das Unternehmen in einer Stellenanzeige.

Quelle: Focus online vom 16.03.2015

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