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Das Meer löst unseren Müll nicht auf

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Bremerhaven/Sinzheim. Wie lange dauert es, bis eine Zigarettenkippe oder eine Plastikflasche vollständig zersetzt sind? 10 Jahre? 450 Jahre? „Es gibt nur Schätzungen, ohne wissenschaftliche Grundlage“, sagt Dr. Miriam Weber, promovierte Meeresbiologin am Hydra-Institut für Meereswissenschaften im baden-württembergischen Sinzheim. „Die Gesellschaft – von der Industrie über Politik bis zum Verbraucher – will die Abbauraten wissen“, sagt Weber, die im Studium auch am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven gearbeitet hat. Bilder von vermüllten Stränden in Indien, riesigen Müllteppichen im Ozean und Vögeln, die an Plastik ersticken, sind allen präsent. Das Hydra-Team hofft auf Forschungsgeld, um Grundlagen liefern zu können.

Bis zu 13 Millionen Tonnen Plastikmüll landen jedes Jahr im Meer. Es gibt keine wissenschaftlich fundierten Forschungen, wie lange die Natur braucht, um diesen Müll zu zersetzen. Deutsche Forscher hoffen, für erste Versuche mit Gegenständen Forschungsgelder zu bekommen. Foto Adobe Stock, Colourbox

Dr. Miriam Weber
Foto: Hydra

Frau Weber, Sie waren gerade auf Europas größter Meeresplastik-Konferenz, der „Micro“, auf Lanzarote. Welcher Aspekt beschäftigt die Wissenschaft?
Zurzeit steht im Fokus, einheitliche Messmethoden aufzustellen, damit ein langfristiges Monitoring (Überwachung, Anm. d. Red.) vergleichend möglich ist. Dann ist die Ökotoxikologie im Kommen. (Wissenschaft, die sich mit den Auswirkungen von Stoffen auf die belebte Umwelt befasst, Anm. d. Red.) Gleichzeitig sind Kommissare der EU dabei, Grundlagen für Gesetze auszuarbeiten. Die Gesellschaft will Lösungen. Es kamen unerwartet viele Teilnehmer aus vielen Ländern. Sogar aus Indonesien waren ein paar Kollegen da. Neben der alle sechs Jahre stattfindenden Meeresmüll-Konferenz in den USA ist es die einzige. Sie gewinnt an Bedeutung, das war deutlich zu spüren.

Wie erforschen Sie Zersetzung des Mülls?
Wir testen in einem dreistufigen Verfahren. Einmal im Labor, in Tanks und in Feldtests. Zersetzung hängt stark von der Umwelt ab: Wir haben Tests für Flachwasser entwickelt, hier wirkt meist Sauerstoff auf den Müll. So simulieren wir Plastikmüll am Strand, schwebend im Wasser und auf dem Meeresboden liegend. Momentan arbeiten wir an Tests für schlammige Böden in Lagunen oder der Tiefsee. Dort unterstützt wenig oder gar kein Sauerstoff die Zersetzung. Dann kommen noch die Klimazonen hinzu. Derzeit forschen wir im Mittelmeer und in den Tropen. Wir wollen bald auch in die Nordsee und ins Polarmeer. Wenn wir all diese Bedingungen berücksichtigen, können wir mit unserem Verfahren ermitteln, wie lange ein Gegenstand braucht, um biologisch abgebaut zu werden.

Haben Sie schon erste Erkenntnisse?
Biologischer Abbau heißt ja: Zersetzung in Kohlenstoffdioxid oder Methan, Biomasse, Wasser und Hitze. Solange das nicht erreicht ist, spricht man von Fragmentation in kleine Stücke, so genanntes Mikrooder Nanoplastik. „Hydra“ testet derzeit biologisch abbaubare Materialien. Unsere ersten Daten zeigen, dass das zwischen Monaten bis Jahrzehnten dauern wird, je nachdem, wo der Gegenstand landet und wie dick das Material ist.

Und wann wissen wir, wie lange die Plastikflasche braucht, um zersetzt zu werden?
Wir planen in Kürze, auch mit der Forschung an Gegenständen anzufangen. Hierzu brauchen wir ein besseres Messverfahren, als wir für Folien anwenden können. Dafür brauchen wir mehr Forschungsgeld und hoffen, dass ein entsprechender Antrag bald erfolgreich ist. Es ist wichtig, diese Messungen möglichst bald anzufangen, weil die Gesetze zu Plastikverboten schon in Ausarbeitung sind.

Gerade an der Küste fühlen sich viele dem Meer verbunden. Kann ich selbst etwas tun? Haben Sie Ihr Verhalten mittlerweile geändert?
Jeder kann etwas tun, auf jeden Fall. Es fängt damit an, dass man seinen Plastikverbrauch reduziert. Ich frage mich täglich: Brauche ich den Strohhalm, den Becher? Ich reise mit meinem eigenen Becher und verzichte sehr gern auf alles, was nicht sein muss. Ich empfinde es als Ansporn und freue mich über jeden Fortschritt, den ich erziele. Es ist auch eine Art Befreiung, keine Einschränkung. Ich hoffe, dass andere das auch so sehen können. Ich denke darüber nach, ob ich das Kleidungsstück wirklich waschen muss oder ob auslüften reicht, so dass ich weniger Textilfaser ins Wasser bringe. Schließt meine Mülltüte oder fliegt Müll herum? Auch bei Kosmetikartikeln gibt es viele Möglichkeiten zu verhindern, dass Abrieb ins Wasser fließt.

Was meinen Sie: Können wir das Meeresmüll-Problem (auf-)lösen?
Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir gemeinsam bald gute Fortschritte machen. Es ist wichtig, den Menschen Lösungen aufzuzeigen, nicht nur über Plastik im Meer an sich zu reden. In aller Regel ist jeder bereit, etwas zu tun. Er muss nur erfahren, wo er anfangen kann und wie wir weitermachen sollten.

Quelle: Nordsee Zeitung vom 05.12.2018 von Lena Gausmann (Grafik) und Maike Wessolowski (Text)

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