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Unvergessene Explosion in Ritterhude

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Vor fünf Jahren starb ein Mitarbeiter der Firma Organo Fluid – 40 Häuser beschädigt – Nachbarn: Bis heute keine Entschuldigung

RITTERHUDE. Die Blumen in der Vase sind vertrocknet, die kleine weiße Grabkerze vor dem hohen Stahlgitterzaun an der Kiepelbergstraße in Ritterhude ist längst erloschen.Hinter dem Zaun liegt eine grüne Brachfläche. Dort hatte das Unternehmen Organo Fluid GmbH ihren Sitz, die Chemieabfälle entsorgte. Bis zum 9. September 2014. Heute vor fünf Jahren gab es auf dem Betriebsgelände mehrere heftige Explosionen. Ein Mitarbeiter starb. Es gab Verletzte, viele Häuser wurden stark beschädigt.

Das ist heute genau fünf Jahre her: Nach einer schweren Explosion brannte es auf dem Gelände der Firma Organo Fluid in Ritterhude. Ein Mitarbeiter der Firma wurde dabei getötet, 40 umliegende Häuser wurden teils stark beschädigt. Foto: Wagner/dpa

Unter anderem das an der Kiepelbergstraße 10, unmittelbarer Nachbar der Firma. Karl-Friedrich Brust war an dem Abend im Kino, doch sein 90-jähriger Vater war damals zu Hause und bekam die Explosion in vollem Umfang mit. Das Haus wurde stark beschädigt, der Wintergarten zerstört. „Ein gewaltiger Schaden“, sagt der heute 62-jährige Brust, der mit anderen Anwohnern schon etliche Jahre vor der Explosion gegen die Chemiefabrik in dem Misch-Gewerbe-Wohngebiet kämpfte.

Am 9. September 2014, einem Dienstag, waren die Detonationen bis nach Bremen zu hören. Stundenlang kämpften die Feuerwehrleute damals gegen die Flammen. Ein 60-jähriger Mitarbeiter der Entsorgungsfirma starb später an seinen schweren Verletzungen im Krankenhaus. Die Druckwelle beschädigte rund 40 Häuser in dem Wohngebiet. Fenster gingen zu Bruch, Autos wurden durch umherfliegende Trümmerteile beschädigt. Zahlreiche Familien verloren vorübergehend ihr Zuhause.

Nach der Explosion begann die Staatsanwaltschaft Verden mit Ermittlungen. Die Liste der Vorwürfe war lang: fahrlässige Tötung, fahrlässige Körperverletzung, unerlaubter Umgang mit gefährlichen Abfällen, unerlaubter Betrieb von Anlagen und – nicht zuletzt – Verdacht auf Bestechlichkeit beziehungsweise Bestechung.

Ermittelt wurde nicht nur gegen den Chef, die Geschäftsführung und Mitarbeiter von Organo Fluid, sondern auch gegen Mitarbeiter des zuständigen Gewerbeaufsichtsamts in Cuxhaven.
Dass es schwere Versäumnisse beim Unternehmen und den Aufsichtsbehörden gab, stand damals auch nach einer Untersuchung des niedersächsischen Umweltministeriums fest. Doch die Staatsanwaltschaft zog im Februar 2018 den Schlussstrich, als sie nach über drei Jahren die Ermittlungen in „wesentlichen Kernpunkten“ einstellte. „Im Falle einer Anklageerhebung wäre nicht mit einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit mit einer Verurteilung der Beschuldigten zu rechnen“, begründete die Behörde damals den Schritt.

„Beschwerde unbegründet“
Ein halbes Jahr später scheiterten 16 Anwohner, darunter Karl-Friedrich Brust, mit ihrer Beschwerde gegen die Einstellung bei der Generalstaatsanwaltschaft in Celle. Die Beschwerde sei „unbegründet“, befand die höhere Instanz. Dabei haben die Explosion und der jahrelange Betrieb bei den Anwohnern für Verbitterung, Enttäuschung und Ernüchterung gesorgt.

„Keine Aufarbeitung, keine Konsequenzen“: Karl-Friedrich Brust kann von seinem Wintergarten aus auf das ehemalige Gelände der Chemiefabrik blicken. Auch fünf Jahre nach dem Unglück spürt der 62-Jährige einen Groll gegen Behörden und den ehemaligen Fabrikchef. Foto: Jaspersen/dpa

Die Bilanz von Brust zumindest fällt vernichtend aus. „Es gab keine Aufarbeitung und keine Konsequenzen“, sagt der 62-Jährige, der auch nach so vielen Jahren einen deutlichen Groll spürt gegen Behörden und den ehemaligen Organo-Fluid-Chef, der sich nach dem Unglück nicht einmal entschuldigt habe.

Brust erzählt von Umlade- und Lagerflächen für Flüssigchemiestoffe auf einem einfachen, lediglich gepflasterten Boden ohne Wannenschutz und einer halb fertig gebauten Tiefgarage, in der entgegen der Nutzungsvorgabe Tankbehälter standen und ein Kompressor auf Holzpaletten wummerte. „Es gab Geruchs- und Lärmbelästigungen“, sagt er. Er erinnert sich auch an viele Geschenke, die der Ex-Firmenchef zur Weihnachtszeit in Behörden verteilte.

Zumindest im letzten Punkt gab die Staatsanwaltschaft ihm im Dezember 2018 recht. Anhand von Geschäftsunterlagen sei ermittelt worden, dass Organo Fluid „regelmäßig auch Mitarbeitern verschiedener Behörden Weihnachtspräsente in Form von Wein bzw. Sekt und Delikatessen zugewendet hat“.

Für Brust hat dies alles einen „faden Beigeschmack“. Aber er will nach vorne schauen. An die grüne Wiese vor seinem Haus könnte er sich gewöhnen. Doch das ehemalige Chemiefirmengelände wird wohl irgendwann wieder genutzt werden.

Ein direkt angrenzendes Nebengelände, wo einst der Industrie-Lackhersteller Bergolin produzierte, wurde im April dieses Jahres verkauft. Das Gelände wird von der Ritterhuder Firma „Kammeier Multiservice“ entwickelt. Die Interessengemeinschaft Kiepelbergstraße sei nicht gegen eine Bebauung und Nutzung, versichert Karl-Friedrich Brust: „Aber wir wollen keine Gewerbeansiedlungen mehr und keine Überraschungen.“

Quelle: Nordsee-Zeitung vom 09.09.2019 von Helmut Reuter

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