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Bodenkunde für die Zukunft

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Die Chancen, satt zu sterben, stehen gut. Zumindest für diejenigen, die heute schon mindestens 25 Jahre alt sind. Das, was auf den Feldern wächst, wird reichen, um die Ernährung der Generation 25-plus zu sichern. Für die Jüngeren könnte es knapp werden. „Wir haben noch 60 Ernten“, sagt Maria Helena Semedo, die stellvertretende Generaldirektorin der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO). Dann ist Schluss – wenn in Sachen Bodenbeschaffenheit und Düngung nicht gegengesteuert wird. In der Landwirtschaft gibt es dafür einen Begriff – „Boden-Burn-out“.

Auf dem Acker von Hermann Cordes (rechts) läuft der Feldversuch. Die Idee vom Blickwechsel hat Matthias Ringen in die inzwischen etwa 50-köpfige Gruppe von Landwirten gebracht, die nach Alternativen in der Bodenbewirtschaftung suchen. Foto Saskia Harscher

Von seinem Wohnzimmer aus blickt Hermann Cordes auf das Land, das er bewirtschaftet. „Altes Ackerland“ sagt der Landwirt und schiebt nach: „Ganz normaler Podsol.“ Also ein Boden, wie er typisch ist für die Region mit seinem nährstoffarmen, sandigen Geestrücken. Seit dem 15. Jahrhundert existiert die Hofstelle am Ortsrand von Wilstedt, einer 1800-Seelen-Gemeinde im Landkreis Rotenburg. Schon seine Vorfahren haben hier in der Erde gebuddelt. Sie haben gesät, gedüngt und geerntet. Jahrzehnt um Jahrzehnt. Mal mit sehr gutem Ertrag, mal mit weniger, aber immer ausreichend. Cordes hat den Betrieb 1989 übernommen. Ein Mischbetrieb. Ackerbau, Schweinemast, Milchvieh. Außerdem ist er Mitinhaber einer Biogasanlage. Er betreibt konventionelle Landwirtschaft. Einer der Betriebe also, wie sie derzeit in der Kritik stehen. Weil sie mit dafür verantwortlich gemacht werden, dass die Natur leidet, das Klima kippt und der Blick in die Zukunft Beängstigendes zeigt.

Mehrere Hektar Land grenzen an Cordes’ Hof. Vier Hektar davon schimmern sattgrün. Zuckerrüben wachsen dort. Pflanzen aus der Familie der Chenopodiaceae, der Gänsefußgewächse. Sie dienen der Zuckergewinnung oder sind als Biomasse ein Energielieferant in den Biogasanlagen. In Wilstedt sind sie jetzt auch Teil eines mehrjährig angelegten Feldversuchs. Im interregionalen EU-Projekt „Biocas“ sollen dort Düngungsvarianten erprobt werden, die die Ausnutzung von organischem Dünger erhöhen und die das Bodenleben fördern.

»Es klingt komisch, aber der Klimawandel spielt uns im Moment in die Hände, weil auch die Politik merkt, dass etwas passieren muss. « Hermann Cordes

Vier Parzellen. Überall der gleiche Ackerboden, die gleiche Feldfrucht und der gleiche Pflanzzeitpunkt. Aber: jedes Teilstück mit einer anderen Düngemethode und mit unterschiedlicher Nährstoffzufuhr. Die spannende Frage: Sind Unterschiede erkennbar und wenn ja, welche sind es? „Hinter dem Ganzen steht aber auch die Frage: Können wir die Potenziale, die wir jetzt schon im Boden haben, nicht besser nutzen?“, sagt Matthias Ringen. Der Landwirt hat die Idee der Betrachtung des Bodens in die Region gebracht. Ein Impuls, den Cordes gerne aufgegriffen hat, wie er erzählt. „Wann haben wir uns in den vergangenen 25 Jahren über den Boden unterhalten?“, fragt er – und gibt sich selbst die Antwort: „Wir haben uns doch nur darüber unterhalten: Was düngst du und was erntest du?“

Um aussagekräftige Daten zu erhalten, muss der Feldversuch über mehrere Jahre laufen, sagen die Landwirte Hermann Cordes und Matthias Ringen. Bislang ist der Versuch zwei Jahre durch EU-Mittel gesichert. Foto Saskia Harscher

Die Männer sind froh, in das Programm aufgenommen worden zu sein. Dabei betonen sie, dass sie inzwischen eine Gruppe sind, rund 50 Landwirte, die die Bodenproblematik erkannt haben und die gegensteuern möchten, bevor es zu einem unumkehrbaren „Boden-Burn-out“ kommt. Als Projektkoordinator verbindet das Kompetenzzentrum Niedersachsen Netzwerk Nachwachsende Rohstoffe und Bioökonomie (3N) die übrigen Akteure dieser Langzeiterprobung miteinander: die Landwirte, die Landwirtschaftskammer Niedersachsen, den Landkreis Rotenburg sowie Unternehmen aus der Region, aus Österreich und aus den Niederlanden. Die Beteiligten suchen nach Wegen, wie die Ausnutzung organischer Dünger verbessert, der Einsatz von mineralischen Düngern reduziert und wie Nitratauswaschungen ins Grundwasser vermieden werden können.

»Hinter dem Ganzen steht auch die Frage: Können wir die Potenziale, die wir jetzt schon im Boden haben, nicht besser nutzen? « Matthias Ringen

Noch ein exklusives Vorhaben, das es laut Ringen in der Form bundesweit kein zweites Mal gebe. Geprüft wird dabei ein aus Österreich stammendes Verfahren, das Düngesystem der Firma Akra. Nach einer umfassenden Bodenanalyse werden Kalk- und Nährstoffkombinationen zur Pflanzenernährung eingesetzt. Das Aufbringen von verschiedenen Bakterienstämmen, etwa Azocarus, Azobacter und Milchsäurebakterien, auf das Saatgut und später auf die Pflanze sollen das Wurzelwachstum, die Pflanzengesundheit sowie die Nährstoffverwertung verbessern. Ebenfalls wird auf den Testparzellen die aus den Niederlanden stammende „Agri-Mest-Mix“-Gülleaufbereitung getestet. Bei diesem Verfahren soll durch das Zuführen spezieller Mikroorganismen die Nährstoffauswaschung gehemmt werden.

Was auf dem sanft in Richtung Teufelsmoor abfallenden Geestrücken wächst, ist nichts Ungewöhnliches für die Region. Zumindest von oben betrachtet. Würde man jedoch die Maulwurfperspektive einnehmen, dann sähe man Dinge, die so selten geworden sind, dass nach Wegen gesucht wird, sie wieder häufiger werden zu lassen. Regenwürmer zum Beispiel. Spinnen, Insektenlarven oder auch lange kräftige Wurzeln, die sich in die Erde graben, sie auseinanderdrücken, schieben und sanft bewegen.

Der Boden bekommt Luft auf diese Weise und er beginnt wieder zu reagieren. Sollte es jetzt stark regnen, dann könnte das Wasser durch die Gänge und Röhren der Würmer und Wurzeln einsickern. In Trockenphasen wäre wieder etwas da, von dem die Pflanzen zehren könnten. Wissenschaftler sprechen davon, dass es bis zu 20 000 Jahre dauert, bis sich ein Meter Ackerboden neu bildet. Cordes konnte es sehen, wie diese rare Ressource Boden vor seiner Haustür weniger wurde.

Sehr nass und zweimal trocken, so beschreiben Cordes und sein Berufskollege Matthias Ringen die zurückliegenden drei „extremen Jahre“. 2017 wurde die Getreidesaat, die Cordes in den Boden brachte, vom Regen einfach weggeschwemmt. Im Jahr darauf hatte der Wind mit dem trockenen Boden leichtes Spiel und trieb ihn in Verwehungen ums Haus. Auch der Ertrag erreichte nicht mehr die Werte von vor 20 oder 30 Jahren. „Wenn ich die Struktur zerstöre, haben der Wind und das Wasser deutlich mehr Angriffsfläche“, erklärt Ringen.

Was fehle, seien Kalzium, Magnesium und Humus. Es sind Brückenbauer, die die verschiedenen Bestandteile des Bodens, das organische Material und das anorganische, miteinander verbinden. Man verliert quasi den Boden unter den Füßen, wenn diese Verzahnungen zerstört werden. Matthias Ringen hat aber auch gemerkt, dass der Ackerboden wieder anfängt zu leben, zu schwingen, wenn man ihn richtig ernährt. Der Landwirt wünscht sich nun, dass die Wissenschaft dazukommt.

„Das sind Dinge, die kann man doch messen“, sagt er. Für kommendes Jahr ist die Finanzierung des Feldversuchs noch gesichert. Ob das ausreicht, um belastbare Ergebnisse zu erhalten?

Cordes bezweifelt das. Man braucht mehr Zeit und unterschiedliche Flächen, sagt er und fügt an: „Es klingt komisch, aber der Klimawandel spielt uns im Moment in die Hände, weil auch die Politik merkt, dass etwas passieren muss.“

20 000 Jahre kann es nach Einschätzungen von Wissenschaftlern dauern, bis sich ein Meter Ackerboden neu bildet.

Quelle: Nordsee-Zeitung vom 01.11.2019 von Saskia Harscher

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