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Der Umgang mit Abfall erzählt viel über eine Gesellschaft

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Von Plastik bis Weltkrieghinterlassenschaften:
Dr. Sven Bergmann erforscht Müll im Meer

BREMERHAVEN. Strandspaziergänge findet Dr. Sven Bergmann schön. Doch während andere ihren Blick auf den Horizont und das Wasser richten, schaut er häufig nach unten – in den Sand.

Der Wissenschaftler vom Deutschen Schifffahrtsmuseum sucht nach Plastikmüll. Mit diesem Thema beschäftigt sich der Kultur-Anthropologe schon seit Jahren. „Selbst im Urlaub kann ich es nicht lassen, am Strand zu suchen“, erzählt der Bremer und lacht.

Dr. Sven Bergmann beim Sammeln von Plastik
im Rahmen eines Forschungsprojekts am Strand von Lanzarote. Foto: PR

Das, was an den Stränden angespült wird, hat den heute 48-Jährigen schon als Kind fasziniert – auch wenn er selber Binnenländer ist, geboren in Frankfurt am Main. „Ob Holzplanke, Eimer oder Zahnbürste – jedes Stück erzählt eine Geschichte. Und darüber habe ich gerne nachgedacht“, sagt er.

Beruflich hat er mit Meeresmüll, insbesondere Plastik, aber erst seit 2014 zu tun. „Damals habe ich als Anthropologe in Berlin noch an einem anderen Projekt gearbeitet und habe überlegt, womit ich mich als Nächstes beschäftigen möchte“, erzählt Bergmann. Geholfen habe bei der Entscheidung ein Familienurlaub in Sardinien. Es war außerhalb der Saison, und zum Ferienhaus gehörte auch ein Strand: „Der war herrlich, vor allem sehr sauber“, sagt er, doch er habe auch mal einen anderen Strand sehen wollen. Und hier erlebte er dann den Kontrast: Plastik, Holz und Müll lagen hier herum. „Dieser Strand war für die Touristen noch nicht aufgeräumt worden“, sagt Bergmann.

An etlichen Säuberungen am Strand teilgenommen
Das Thema interessierte ihn. Er wollte wissen, wie der Müll dorthin gekommen war. „Ich habe viel recherchiert und bin dann auch auf Berichte eines Kapitäns gestoßen, der über Müllansammlungen auf hoher See im Pazifik geschrieben hat“, berichtet der Anthropologe. Nach und nach habe er immer mehr Material entdeckt. So habe er am Strand von Stralsund Plastikmüll in allen Formen und Farben vorgefunden. „Seitdem schaue ich mich an jedem Strand um, an dem ich bin. Ich habe auch schon an etlichen Strandsäuberungen teilgenommen, unter anderem in den USA“, erzählt Bergmann.

Auffällig sei aber der Anteil an Mikroplastik unter fünf Millimeter Größe. „Was anfangs beispielsweise eine Zahnbürste war, wird mit der Zeit immer kleiner gerieben“, sagt der Forscher. Und diese kleinen Plastikteilchen könne man auch mit dem bloßen Auge am Strand noch gut erkennen. Spannend für den Wissenschaftler ist aber noch ein weiterer Aspekt: „Lebewesen nutzen die Plastikabfälle im Meer mittlerweile als Lebensraum“, sagt er. Und genau mit diesem Thema beschäftigte er sich in seinem ersten Forschungsprojekt: „Plastik als neue Lebensform“.

Plastik seit den 1970ern verbreitet
Faszinierend, aber auch erschreckend beim Thema Plastik ist für den Anthropologen insbesondere, wie verbreitet dieses Material in den Weltmeeren ist – „welchen Fußabdruck der Mensch in nur 70 Jahren hinterlassen hat“, meint Bergmann. Denn Kunststoffe hätten ja vor den 1950er Jahren keine Rolle gespielt. Der Boom habe erst danach angefangen, mit den ersten Schüsseln aus Plastik. Und in den 1970ern sei das Spielzeug aus Plastik gekommen. „Es ist erstaunlich, wo man mittlerweile überall Plastik findet, sogar im Sediment auf dem Meeresboden“, sagt Bergmann. Selbst auf den Osterinseln, wo nachweislich noch nie Kunststoff hergestellt worden sei, finden sich Reste.

Auf der anderen Seite sei aber das menschliche Leben mit Kunststoff verwoben. „Man denke besonders an die vielfältigen medizinischen und hygienischen Anwendungen. Und wer einen Herzschrittmacher trägt, hat auch Kunststoff im Körper“, gibt er zu bedenken. So könne man Plastik nicht grundsätzlich verdammen, man müsse aber zu einem vernünftigen Umgang damit kommen.

An zwei Forschungsprojekten zu diesem Thema hat Bergmann an der Universität Bremen gearbeitet, seit einem Dreivierteljahr ist er nun beim Deutschen Schifffahrtsmuseum – im Bereich Schifffahrt und Umwelt. „Hier geht alles etwas praktischer zu“, sagt er. Man wende sich mehr an die große Öffentlichkeit und nicht nur an ein Fachpublikum. So hat er in der Ausstellung auch zwei Objekte zum Thema Plastik untergebracht.

Neues Projekt: Giftige Reste aus den Weltkriegen
In erster Linie beschäftigt er sich aber mit einem anderen Bereich von Meeresmüll – den Hinterlassenschaften aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. „North Sea Wrecks“ heißt das Projekt, in dem die Auswirkungen von Munitionsresten auf die Umwelt untersucht wird. „Das Meer ist hier lange Zeit als Endlager, als sogenanntes blaues Regal genutzt worden. Man wusste schlicht und einfach nicht, wohin damit, und hat gedacht, das große Meer wird damit fertig“, sagt Bergmann.

Doch was hat ein Anthropologe, der sich ja mit Mensch und Gesellschaft auseinandersetzt, mit dem Thema Müll zu tun? „Müll ist hochinteressant, und der Umgang damit erzählt eine Menge über die Gesellschaft. Darum sind Archäologen auch immer sehr erfreut, wenn sie auf solche Hinterlassenschaften stoßen“, erläutert der Forscher. Bevor er zu diesem Thema gekommen sei, habe er sich beispielsweise um Auswirkungen von Stadtplanung gekümmert, aber auch um künstliche Befruchtung.

Mag er denn bei seinem Wissen um den Meeresmüll überhaupt noch Urlaub am Meer machen? „Ich könnte ja in die Berge ausweichen. Aber auch an Bergseen findet man mittlerweile Plastik“, sagt Bergmann und schmunzelt. Aber er genieße den Urlaub am Meer immer noch – auch wenn er viel fotografiere und Proben als Anschauungsobjekte sammele.

Seine Familie komme damit zurecht, versichert er: „Wenn auch manchmal mit einem Augenrollen.“ Seine elfjährige Tochter sei selber an der Umweltproblematik interessiert, und auch sein sechsjähriger Sohn nähere sich dem Thema. Und seine Frau? „Die hat Verständnis dafür. Sie ist selber Anthropologin, wenn auch in einem anderen Bereich tätig.“

»Es ist erschreckend, welchen Fußabdruck der Mensch in nur 70 Jahren mit Plastik hinterlassen hat.«
Dr. Sven Bergmann, Deutsches Schifffahrtsmuseum

Quelle: Sonntagsjournal vom 12.01.2020 von Christoph Bohn

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