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Plastik die globale Gefahr

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Forscher warnen in neuer Studie vor Kunststoffmüll –  
Eine Autorin kommt vom AWI in Bremerhaven

BREMERHAVEN. Plastikverschmutzung sei eine globale Bedrohung, warnen Wissenschaftler. Die Plastikemissionen rund um den Erdball könnten Effekte auslösen, die nicht mehr rückgängig zu machen seien.

Die Autoren einer neuen wissenschaftlichen Studie drängen deshalb auf eine „rationale politische Antwort“ mit einer drastischen Reduzierung der Kunststoffflut. Eine von ihnen ist Mine Tekman, Doktorandin am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven.

Plastikmüll für die Ocean-Plastics-Lab-Ausstellung in Ottawa. Der Müll stammt von sechs Stränden Spitzbergens. Foto: Horvath/Alfred-Wegener-Institut

Tekman war zunächst Informatikerin, entdeckte dann aber das Tauchen für sich und ihre Liebe zum Meer. Sie sattelte um, studierte noch mal und kam schließlich zu den Plastikforschern am Alfred-Wegener-Institut (AWI). Dort entwickelte Tekman das AWI-Onlineportal litterbase.org mit, das die wissenschaftliche Literatur zu Müll im Meer und dessen Auswirkungen zusammenfasst – es sind mittlerweile mehr als 2800 Studien.

„Plastik ist einfach überall“, sagt Tekman. Wissenschaftler hätten Kunststoffbelastungen auf Berggipfeln und in der Tiefsee gefunden, in Wüsten und im arktischen Schnee. 2016 hätten die Schätzungen für die weltweiten Plastikemissionen in Seen, Flüssen und Ozeanen von neun bis zu 23 Millionen Tonnen pro Jahr gereicht. Eine ähnliche Menge werde jährlich an Land freigesetzt.

Selbst auf einer arktischen Meereisscholle findet sich Müll. Seine Herkunft ist unbekannt. Foto: Bergmann/Alfred-Wegener-Institut

Es sei zu erwarten, dass sich diese Schätzungen bis 2025 fast verdoppeln, wenn die Weltbevölkerung weitermacht wie bisher. Das berichten Tekman und drei weitere Fachleute in einem Übersichtsartikel, der gerade im renommierten Wissenschaftsmagazin „Science“ ver­öffentlicht wurde. „Plastik ist tief in unserer Gesellschaft verwurzelt und es sickert überall in die Umwelt selbst in Ländern mit einer guten Infrastruktur für die Abfallbehandlung“, stellt Matthew MacLeod fest, Professor an der Universität Stockholm.

Im Moment belasten wir die Umwelt mit immer größeren Mengen an schwierig umkehrbarer Plastikverschmutzung. Bis jetzt sehen wir keine weit verbreiteten Beweise für schlimme Folgen, aber wenn die Verwitterung von Plastik einen wirklich schlimmen Effekt auslöst, werden wir wahrscheinlich nicht in der Lage sein, ihn rückgängig zu machen.
Matthew MacLeod, Universität Stockholm

Tekman glaubt, dass die derzeit angebotenen Lösungen wie Recycling- und Reinigungstech­nologien nicht ausreichen: „Als Verbraucher und Verbraucherinnen glauben wir, dass alles auf magische Weise recycelt werden kann, wenn wir unseren Plastikmüll richtig trennen.“ Doch technologisch gesehen unterliege Recycling vielen Einschränkungen.

Zudem gebe es ein grundsätzliches Problem mit biologisch nicht abbaubaren Materialien, die sich auch als Feinstäube und winzige Fasern aus vielen Prozessen in der Umwelt verteilten, sagt Tekman. Man müsse das Problem an der Wurzel packen, sind die AWI-Mitarbeiterin und ihre Kollegen überzeugt. „Daher sind drastische Maßnahmen erforderlich wie neue abbaubare Materialien zu entwickeln, Wege, um den Wert von recyceltem Kunststoff zu erhöhen, und das Verbot des Exports von Kunststoffabfällen, es sei denn, er erfolgt in ein Land mit besserem Recycling.“

Plastikmüll verwittert in der Umwelt. „Aber die Verwitterung verändert ständig die Eigenschaften der Kunststoffverschmutzung, was neue Fragen aufwirft“, so Hans Peter Arp vom Norwegian Geotechnical Institute, der als Professor an der Norwegischen Universität für Wissenschaft und Technologie lehrt. „Der Abbau ist sehr langsam und kann die Akkumulation nicht stoppen, so dass die Belastung durch verwitterten Kunststoff nur zunehmen wird.“

Abgelegene Gegenden seien besonders bedroht, sagt Annika Jahnke, Wissenschaftlerin am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung und Professorin an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen. Denn dort ließe sich der Plastikmüll nicht durch Aufräumarbeiten entfernen, und die Verwitterung führe unweigerlich zu einer großen Anzahl von Mikro- und Nanoplastikpartikeln sowie zur Auswaschung von Chemikalien. Jahnke weiter: „Kunststoff in der Umwelt ist also ein sich ständig bewegendes Ziel von zunehmender Komplexität und Mobilität. Wo es sich anreichert und welche Auswirkungen es verursachen kann, ist schwierig oder vielleicht sogar unmöglich vorherzusagen.“

Mägen voller Plastikmüll

Zusätzlich zu den direkten Umweltschäden – die Bilder von Tieren, die sich in umherwabernden Plastiknetzen stranguliert haben oder mit Mägen voller Plastikmüll verendet sind, gingen um die Welt – könnte die Kunststoffflut in Verbindung mit anderen Umweltstressoren in abgelegenen Gebieten „weitreichende oder sogar globale Auswirkungen auslösen.“

Die neue Studie führt dafür hypothetische Beispiele an, darunter die Verschärfung des Klimawandels und den Verlust der Artenvielfalt. „Das Vernünftigste, was wir tun können, ist, so schnell wie möglich zu handeln, um den Eintrag von Plastik in die Umwelt zu reduzieren“, steht für MacLeod fest. Mine Tekman kann das nur unterstreichen. (ger)

3 Fragen an…
Mine Tekman,
Wissenschaftlerin am AWI

Frau Tekman, Sie haben jetzt so viele Studien ausgewertet: Haben Sie die Ergebnisse nicht entsetzt? Ich bin ständig entsetzt Ich arbeitet seit 2015 zum Plastikmüll. Ich frage mich, warum die Leute keine Angst haben. Plastik ist einfach überall. Es ist so sehr in unser Leben integriert, dass wir es meistens nicht bemerken und uns nicht darum kümmern.

Was sind die Quellen der Plastikverschmutzung? Plastik ist grundsätzlich nicht biologisch abbaubar, sondern zerbröselt. Daher ist jeder synthetische Gegenstand eine Quelle. Zum Beispiel ist der größte Teil unserer Kleidung synthetisch. Wenn wir sie waschen, und wir Menschen sind in den letzten Jahrzehnten viel zu sauber geworden, werden Milliarden von synthetischen Fasern freigesetzt Einige davon sind so klein, dass sie die Filtersysteme der Kläranlagen passieren.

Was macht so ein Forschungsthema mit Ihnen? Leben Sie zu Hause plastikfrei? Ich habe es eine Zeit lang versucht, doch es ist teuer und in unserem gegenwärtigen System schwer zu managen. Jetzt versuche ich, meinen Konsum einzuschränken. Wenn ich Plastik nicht vermeiden kann, dann versuche ich immer, es wiederzuverwenden. Wir müssen verstehen: Plastik ist nicht der Feind. Unverantwortlicher Konsum, unverantwortliche Entsorgung und unzureichendes Management von Plastikmüll sind es. Oder können Sie sich ein Leben ohne synthetische Materialien in der Pandemie vorstellen? Recyclingtechnologien haben ihre Grenzen, Recycling ist nicht der Heilsbringer ebenso wenig wie Säuberungen. Die Mengen an Plastik, die in die Umwelt gelangen, sind so groß, dass wir das nicht alles säubern können. Ich glaube nicht, dass nur persönliche Bemühungen die Lösung sind. Plastikproduktion, -konsum und -müll sind ein riesiges Geschäft. Die Kunststoffproduktion hat fast 400 Millionen Tonnen pro Jahr erreicht. Brauchen wir so viel Plastik? Industrie und die Regierungen sind hier mitverantwortlich. (kik/ger)

Originalpublikation: Matthew MacLeod/Hans Peter H.Arp/Mine B. Tekman/Annike Jahnke, „The Global Threat from Plastic Pollution“, in: „Science“, 2021

Quelle: Nordsee Zeitung vom 02.07.2021 von Ursel Kikker

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