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Klimawandel

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„Wir müssen uns auf immer extremeres Wetter einstellen“

Hitzewellen, Starkregen, Überschwemmungen: Außergewöhnliche Wettergeschehnisse kosten jedes Jahr Tausende Menschen das Leben und richten Milliardenschäden an.

Der Klimaforscher Thomas Stocker erklärt, weshalb wir vermehrt mit solchen Katastrophen rechnen müssen, wie sich Deutschland durch die Erderwärmung verändert – und was jeder selbst tun kann, um den Klimawandel zu verlangsamen

Professor Thomas Stocker Foto PR

GEOkompakt: Herr Professor Stocker, wer Nachrichten schaut, hat mitunter das Gefühl, dass extreme Wetterereignisse wie Hitzewellen, Überschwemmungen und Stürme zunehmen. Trifft das zu?

Prof. Thomas Stocker: Tatsächlich sind manche Wetterextreme wie Hitzewellen und Starkregen durch den Klimawandel messbar häufiger geworden. Denken Sie an den Jahrhundertsommer 2003, das war der wärmste europäische Sommer seit 500 Jahren – und doch erst der Anfang. In den vergangenen Jahren waren die Sommer in Teilen Europas immer wieder ungewöhnlich heiß. Aber nicht nur die Häufigkeit, auch die Intensität solcher Ausnahmeerscheinungen, das können wir ganz klar beobachten, hat zugenommen.

Was haben Sie in Bezug auf die Niederschlagsmenge festgestellt?

Vor allem in den Übergangsmonaten im Frühjahr und Herbst werden vermehrt Starkniederschläge gemessen, wie wir sie in dieser Intensität und Häufigkeit eher aus den Tropen kennen. Das liegt daran, dass der Westwind verstärkt feuchte, warme Luftmassen vom Meer aufs Festland transportiert. Dann kommt es immer wieder zu sturzartigen Regenfällen, die im schlimmsten Fall Abwassersysteme überlasten, Keller fluten und Flüsse über die Ufer treten lassen. Im windstilleren Sommer dagegen wird es im Landesinneren immer heißer und trockener – besagte Hitzewellen sind die Folge.

GEOkompakt Nr. 55
Die Macht des Wetters

Führt der Klimawandel zu einer Zunahme von Stürmen, wie oft behauptet?

Bislang können wir nicht mit Gewissheit sagen, ob heftige Orkane wie „Xavier“, der Ende 2017 über Norddeutschland und Polen hinwegfegte und neun Menschen das Leben kostete, bereits eine Folge des Klimawandels sind. Modellrechnungen weisen aber darauf hin, dass uns mit steigender Erderwärmung auf jeden Fall schwerere Unwetter erwarten. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sich Stürme über dem offenen Meer bilden und vom warmen Oberflächenwasser gespeist werden. Mit dem Klimawandel erwärmt sich auch das Wasser und versorgt die Stürme so mit mehr Energie. Insbesondere in den USA wird sich die Hurrikan-Saison dadurch wohl noch verschärfen.

Wo verläuft die Grenze zwischen normalen, jahreszeitlichen Schwankungen und Extremwetterereignissen?

Beim Wetter handelt es sich um ein statistisches Phänomen. Wir können für jeden Ort bestimmen, in welcher Schwankungsbreite sich Temperatur, Niederschläge und Windgeschwindigkeiten über die Jahre in etwa bewegen. Doch es gibt immer wieder Ausreißer, etwa überdurchschnittlich kalte, warme oder windige Tage, die nicht in die Statistik für die jeweilige Jahreszeit passen. Das sind per Definition die Extremwetterereignisse.

Wenn die Erde wärmer wird, dann müsste sich die Schwankungsbreite der Messwerte für Deutschland in Richtung der wärmeren Temperaturen verschieben.

Genau das beobachten wir. Wir messen für Mitteleuropa schon jetzt gestiegene mittlere Temperaturen. Zugleich gibt es deutlich weniger Kälte-, dafür mehr und intensivere Hitzewellen. Und wenn sich die Kurve weiter in Richtung wärmerer Temperaturen verschiebt, bewegt sich künftig so manche Hitzewelle aus dem Extrembereich heraus und wird auf einmal zur neuen Normalität. Die Ausreißer werden dann noch heißer und trockener sein, als wir es heute gewohnt sind.

Zählen Phänomene wie die Wassererwärmung durch El Niño im Pazifik oder der Monsun in Indien zu Extremwettern?

Nein, solche Erscheinungen, die mit einer gewissen Periodizität alle paar Jahre auftreten, werden zu den „Klimamoden“ gerechnet. Das sind regionale Ausprägungen des Wettergeschehens, die Monate oder sogar Jahre anhalten können und als normale Klimavariationen gelten. Für den europäischen Raum ist vor allem die Nordatlantische Oszillation relevant, vornehmlich ein Winterphänomen, das keine feste Periodizität hat. Dabei kommt es zu einer Schwankung des Luftdruckunterschieds zwischen dem Islandtief im Norden und dem Azorenhoch im Süden, die den Westwind verstärkt oder abschwächt. Je nachdem, ob die Schwankung positiv oder negativ ausfällt, haben wir dann im Winter mehr oder weniger Niederschlag, mildere oder tiefere Temperaturen.

Wie gut ist man heute in der Lage, konkrete Extremereignisse vorherzusagen?

Sie lassen sich im Rahmen der normalen Wetterprognose auf fünf bis zehn Tage voraussagen. Für längerfristige Abschätzungen sind nur noch statistische Aussagen möglich.

Weshalb können Forscher ermitteln, wie sich das Erdklima in den kommenden 100 Jahren entwickeln wird, tun sich aber mit der Wetterprognose für die nächste Woche so schwer?

Das Problem ist die Detailtiefe: Allgemeine Trends und Entwicklungen sind viel leichter zu berechnen als die präzisen Wetterbedingungen zu einer genauen Zeit an einem bestimmten Ort. Ich vergleiche das mit einem Kochtopf: Wenn Sie bei sich zu Hause immer wieder die gleiche Menge Wasser aufsetzen, dann können sie recht zuverlässig voraussagen, wie heiß das Wasser nach zehn Minuten Heizen auf Stufe drei sein wird. Wollen Sie aber genau vorhersagen, wo sich als Nächstes ein Dampfbläschen am Boden des Topfes bildet, müssen sie feststellen, dass das unmöglich ist. Zu komplex ist das Geschehen im brodelnden Wasser. Und so ist es auch mit dem Klima und dem Wetter: Wir können zwar sehr lange im Voraus die globale Erwärmung berechnen, wenn wir das Szenario der CO2-Emissionen festlegen. Wir können auch die künftige Häufigkeit etwa von Hitzewellen abschätzen, jedoch nicht das Wetter oder ein einzelnes Ereignis.

Woher wissen Sie, dass Ihre Klimaprognosen stimmen?

Wir arbeiten mit Modellen, die mithilfe von Messwerten, die in der Vergangenheit aufgezeichnet wurden, überprüft werden. Gelingt es uns, die klimatischen Entwicklungen der vergangenen 100 Jahre zu simulieren, gehen wir davon aus, dass wir dieses Modell auch auf die Zukunft anwenden können. Allerdings gibt es in komplexen Systemen wie dem Wetter Grenzen der Vorhersagbarkeit.

Düsseldorf: Am Ufer des Rheins sind durch die anhaltende Trockenheit
Risse entstanden Bild: Martin Gerten/dpa

Was bedeutet die Erwärmung für Deutschland? Werden wir im Jahr 2100 ein mediterranes Klima haben?

Nein, definitiv nicht. Denn neben den steigenden Temperaturen im Sommer erwarten uns ja auch erhöhte Niederschlagsmengen und Windgeschwindigkeiten im Herbst und im Frühjahr. Das bedeutet konkret: mehr Stürme, Überschwemmungen, Sturmfluten und Hitzewellen. Wir gehen davon aus, dass bestimmte Wetterextreme schon in den nächsten 40 Jahren fünf- bis zehnmal häufiger auftreten werden, wenn es nicht gelingt, die Erwärmung auf unter zwei Grad Celsius zu halten. Dann würde etwa statt alle 20 Jahre alle zwei bis drei Jahre eine Hitzewelle auf uns zukommen. Das bedeutet für Mitteleuropa ein völlig anderes, noch wechselhafteres Klima.

Wie wirkt sich das auf die Umwelt aus?

Es hätte dramatische Konsequenzen für die Ökosysteme. Bestimmte Pflanzen wie etwa die Fichten kommen mit der Trockenheit im Sommer nicht gut zurecht. Sie werden sich zurückziehen und stattdessen vermehrt Eichen Platz machen. So wird sich dann über Jahrzehnte hinweg die Landschaft verändern.

Wie kann sich Deutschland auf häufigere Extremwetterereignisse einstellen?

Gegen Hitzewellen hilft eine bessere Luftzirkulation in den Städten durch geschicktes Anordnen von Straßen und Gebäuden. Auch Grünflächen mildern die Erwärmung, vor allem auf und an Gebäuden. Zudem müssten die Abwassersysteme ausgebaut werden, um steigende Niederschlagsmengen fassen zu können.

Wenn Sie großflächiger schauen, dann benötigen Sie weitere Auenlandschaften und Überschwemmungsgebiete als Pufferzone, um zu verhindern, dass bei anhaltenden Regenfällen Flüsse in besiedelten Regionen über die Ufer treten. Gegen Sturmfluten hilft ein verbesserter Küstenschutz, und um die Auswirkungen von Stürmen zu reduzieren, ist es sinnvoll, kranke Bäume in der Stadt, an Straßen und Schienen zu entfernen. Umgekehrt helfen ausgedehnte Waldflächen, Stürmen ihre Kraft zu nehmen, wenn sie vom Meer über das Land ziehen.

Könnten einige Regionen der Erde durch den Klimawandel unbewohnbar werden?

Die Inselstaaten im Pazifik sind bereits jetzt durch den Meeresspiegel anstieg bedroht, weil Meerwasser in die Süßwasserreservoirs eindringt. Wenn die Erwärmung anhält, werden zudem ganze Inseln und große Küstengebiete überschwemmt, etwa in Bangladesch. Das Land hat anders als Deutschland nicht die Mittel für Schutzmaßnahmen. Millionen Menschen wären gezwungen zu fliehen. Die Ärmsten würde es am härtesten treffen.

Um das zu verhindern, fordern Wissenschaftler, die Erderwärmung auf zwei Grad Celsius zu begrenzen. Ist das realistisch?

Dass, verlangen nicht die Wissenschaftler, sondern das ist die Forderung aller Länder, die dem Pariser Klimaabkommen zugestimmt haben. Ich habe große Hoffnung, dass wir dieses Ziel erreichen können. Allerdings wird das mit jedem verstreichenden Jahr schwieriger. Denn um es einzuhalten, dürfen wir insgesamt nicht mehr als 770 Milliarden Tonnen CO2 ausstoßen. Im Augenblick betragen die jährlichen Emissionen weltweit rund 40 Milliarden Tonnen. Das bedeutet, dass unser Budget bei gleichbleibenden Emissionen vor dem Jahr 2040 aufgebraucht sein wird. Dann müssten wir schlagartig auf null heruntergehen. Je stärker wir also heute schon reduzieren, desto mehr Zeit bleibt uns, bis wir die Zwei-Grad-Marke endgültig reißen.

Manche wollen sogar eine Begrenzung auf 1,5 Grad erreichen. Warum macht ein halbes Grad so einen Unterschied?

Denken Sie an Ihren eigenen Körper. Ein halbes Grad mehr, und Sie fühlen sich schlapp und fiebrig. Das ist beim Planeten Erde mit seinen Ökosystemen nicht anders. Hinzu kommt, dass es sich bei den 1,5 Grad Celsius um einen Durchschnittswert handelt, der sich nicht gleichmäßig über den Globus verteilt. So ist die Erwärmung in den Tropen gering, während die Temperatur in Mitteleuropa und an den Polen um mehrere Grad Celsius ansteigt. Ob beispielsweise die Eisbedeckung in der Arktis und Antarktis den Sommer übersteht oder nicht, entscheidet sich zwischen 1,5 und zwei Grad Celsius. Zu diesem Ergebnis kam der Weltklimarat in seinem letzten Bericht.

Was ist die Funktion dieses Rates?

Dies ist ein UN-Gremium, zusammengesetzt aus Delegierten aus aller Welt, das 1988 gegründet wurde. Seine Aufgabe ist es, wissenschaftliche Informationen zum menschengemachten Klimawandel zusammenzutragen und kritisch zu beurteilen. Diese Arbeit leisten Tausende Wissenschaftler weltweit. Der erste Bericht wurde 1990 publiziert. Auf dessen Grundlage wurde 1992 bei der Konferenz in Rio die Klimarahmenkonvention formuliert. Darin bekannten sich die Staaten dazu, dass gefährliche Auswirkungen durch den vom Menschen verursachten Klimawandel verhindert werden müssen. Jedoch dauerte es noch mehr als 20 Jahre, bis man sich 2015 im Paris-Abkommen darauf einigte, die Erderwärmung auf zwei oder gar 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Und zwar auf Basis des fünften Klimaberichts, dessen wissenschaftlichen Grundlagenteil ich gemeinsam mit einem chinesischen Kollegen leiten durfte.

Und wie soll das konkret geschehen?

Die Länder haben sich Verpflichtungen auferlegt, wie sie ihre Emissionen reduzieren wollen. Nach fünf Jahren zieht jedes Land Bilanz, was es erreicht hat, und setzt sich das nächste, noch ehrgeizigere Ziel. Auf diese Weise hoffen wir, gemeinschaftlich das Zwei-Grad-Ziel Schritt für Schritt zu erreichen – oder vielleicht sogar noch zu übertreffen.

Was geschieht, wenn ein Land seine Zusagen nicht einhält?

Sanktionen gibt es im heutigen Regelwerk nicht, denn dann hätten viele Länder sich nicht auf das Abkommen eingelassen. Das Ganze ist also freiwillig und beruht auf dem Willen der Länder zum Mitmachen. Ein einzelnes Land kann auch wieder aus dem Abkommen austreten, wie es derzeit die USA planen. Das war aber auch schon 1997 beim Kyoto-Protokoll so. Damals hatten sich die Industrieländer darauf verständigt, ihre Emissionen um mindestens fünf Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren. Die Schwellen- und Entwicklungsländer wurden vom Kyoto-Protokoll ausgenommen. Diesmal sind alle angehalten, das gemeinsame Ziel zu verfolgen. Es ist auch schon viel geschehen, aber es reicht noch nicht.

Angenommen, alle Länder hielten sich an ihre Zusagen, könnten sie das Zwei-Grad-Ziel dann erreichen?

Nein, dazu sind die Vorhaben noch nicht ehrgeizig genug. Setzt jedes Land seine heutigen Ziele um, werden wir dennoch bei etwa 2,7 bis drei Grad Celsius Erwärmung landen. Da muss also in Zukunft noch mehr geschehen. Mit jeder Runde wird es natürlich schwieriger, weil das verbleibende Treibhausgas-Budget von Jahr zu Jahr kleiner wird. Derzeit verlieren wir mit jedem Jahrzehnt ein halbes Grad. In zehn Jahren wird das Zwei-Grad-Ziel so ehrgeizig und schwierig zu erreichen sein wie das 1,5-Grad-Ziel heute.

Was kann jeder Einzelne für den Klimaschutz tun?

Zunächst einmal zählt jedes eingesparte Gramm Kohlendioxid. Ich selbst habe zum Beispiel meinen Fleischkonsum stark reduziert, da die Herstellung tierischer Lebensmittel für einen großen Teil des globalen Treibhausgasausstoßes verantwortlich ist. Zudem versuche ich möglichst auf das Auto zu verzichten. Fernreisen kann ich als Wissenschaftler leider nicht vermeiden. Aber das ist nur ein Aspekt. Viel wichtiger ist, dass die Politik endlich die richtigen Weichen stellt.

Welche wären das?

Es ist Zeit für eine vierte industrielle Revolution. Nach Mechanisierung, Elektrifizierung und Digitalisierung muss jetzt die Dekarbonisierung kommen. Gelingt es, von Kohle, Erdöl und Erdgas wegzukommen, hilft das nicht nur dem Klima. Es schafft auch Arbeitsplätze, technologische Entwicklung und Wachstum, weil wir eine völlig neue Infrastruktur der erneuerbaren Energien aufbauen müssen. Das ist eine Riesenchance, und jeder kann mitbestimmen, ob es dazu kommt oder nicht.

Haben wir Bürger wirklich diese Macht?

Sie haben mehr Einfluss, als Sie denken. Nehmen Sie am politischen Leben teil. Üben Sie Druck aus, gehen Sie zur Wahl, und zeigen Sie den Politikern, dass Ihnen das Klima wichtig ist. Es geht hier nicht mehr um Positionen von links oder rechts, um diese oder jene Partei. Sondern um unsere gemeinsame Zukunft.

Quelle: GEOkompakt von Maria Kirady, Rainer Harf und Sebastian Witte vom 13.06.2018

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