BI Driftsethe

Bürger-Initiative gegen die Bauschuttdeponie in Driftsethe

Verseuchtes Wasser im Beton

| Keine Kommentare

Rückbau des AKW Stade verzögert sich / Kosten steigen auf eine Milliarde Euro

Ursprünglich sollte der Rückbau des Atomkraftwerks Stade noch 2014 abgeschlossen sein, doch es kommt anders. Nachdem radioaktiv kontaminiertes Wasser im Reaktorgebäude entdeckt wurde, dauern die Arbeiten nun mindestens bis Ende 2017, die Kosten steigen drastisch.

Das Kraftwerk Stade wird als erster Reaktor seit dem Atomausstieg zurückgebaut.  Foto: DPA

Das Kraftwerk Stade wird als erster Reaktor seit dem Atomausstieg zurückgebaut. Fotos: DPA

Stade. Die entscheidende Stelle ist rund, drei Meter dick und liegt unter einem weißen Zelt: grauer Betonboden, der sich äußerlich nicht unterscheidet von den Wänden im sogenannten Splitterschutz-Zylinder unter der Kuppel des Reaktors. Doch im Atomkraftwerk (AKW) Stade steckt der Teufel im Detail. Niemand vermag bisher mit Sicherheit zu sagen, wie stark der Boden radioaktiv belastet ist.

„Einiges spricht dafür, dass wir es nur mit homöopathischen Mengen zu tun haben, die punktuell, aber nicht flächendeckend auftreten“, sagt der Strahlenschutzbeauftragte Ralf Thalinger. „Aber erst, wenn wir das Fundament aufgebohrt haben, gibt es Gewissheit.“

Die Kuppe, in der sich der Kernreaktor befand Foto: DPA

Die Kuppe, in der sich der Kernreaktor befand

Was ist passiert? Anfang 2014 wurde bei Messungen im Sockel des Reaktorgebäudes radioaktiv kontaminiertes Wasser entdeckt. Versickert ist es vermutlich schon kurz nach Inbetriebnahme des Kraftwerks 1972. Das verzögert den Rückbau des Atomkraftwerks um mindestens drei Jahre. Frühestens Ende 2017 sollen die Arbeiten nun soweit abgeschlossen sein, dass das Gelände aus der Atomaufsicht entlassen werden kann.

Mitarbeiter bei der Strahlungsuntersuchung Foto: DPA

Mitarbeiter bei der Strahlungsuntersuchung

„Wir müssen den Betonsockel unter kontrollierten Bedingungen abtragen. Erst danach können wir neu messen, um zu beurteilen, wie hoch die Strahlung ist“, erklärt der Leiter des Kraftwerks, Michael Klein. Erste Bodenproben hatten bis zu 174 Becquerel pro Gramm zutage gefördert, zu viel für eine Freigabe zur Entsorgung.

400 Beschäftigte beteiligt
Das Kernkraftwerk Stade, 2003 vom Netz gegangen, wird als erster Reaktor seit dem Atomausstieg zurückgebaut. Daran sind 400 Beschäftigte beteiligt, 300 von ihnen aus Fremdfirmen. Seit elf Jahren steht die Leistungsanzeige des Generators auf Null, eingerahmt von einem schwarzen Trauerflor, den die Belegschaft gestiftet hat. Die beiden Mitarbeiter in der Leitzentrale wollten eigentlich Ende des Jahres in den Ruhestand gehen, stehen aber bereit, falls sie länger gebraucht werden. „Darüber kann man ja reden“, meinen sie.

Es ist laut im Inneren des Reaktorgebäudes. Ununterbrochen laufen die Motoren der Lüftung, damit es staubfrei bleibt. Die Szene erinnert an eine Großbaustelle mit vielen Gerüsten. Der Abstieg in den 15 Meter tiefen Sockel führt über 60 Treppenstufen, dort ruhen 22.000 Tonnen Beton. „Daraus filtern wir rund 600 bis 1.000 Tonnen potenziell radioaktiven Abfall heraus, zusätzlich zu den bisher erwarteten 4.000 Tonnen“, erklärt Thalinger.

Der Beton wird mit Diamant-Seilsägen zerlegt, Stückpreis: 40.000 Euro. Ein Meter Seil kostet 150 Euro. „Um das geborgene Material abzutransportieren, muss noch ein neuer Kran im Sicherheitsbehälter montiert werden“, sagt Thalinger. Der Kran werde die 20 Tonnen schweren Betonblöcke über eine Schleuse nach draußen hieven. Radioaktiv belasteter Abfall macht in der Gesamtmenge zwei Prozent aus. Rund 98 Prozent des Bauschutts sind unbelastet. Da die Entsorgung auf einer Deponie im sächsischen Grumbach auf Proteste stößt, sucht Betreiber E.on derzeit nach einem anderen Standort.

Ursprünglich hatte der Stromkonzern für den Rückbau des Stader Atomkraftwerks 500 Millionen Euro veranschlagt. Jetzt wird mit Gesamtkosten von einer Milliarde Euro gerechnet. Weil ein Endlager nicht zur Verfügung steht, müssen schwach- und mittelradioaktiv belastete Abfälle vorerst zwischengelagert werden – am stillgelegten Atomkraftwerk Stade, heißt es beim Betreiber.

Quelle: Weser Kurier vom 28.10.2014 von Jörn Freyenhagen

Kommentar
Unkalkulierbar
von Michael Lambek
zum Atomkraftwerk Stade

Foto: Weser Kurier

Foto: Weser Kurier

Die Energiewende hat ihre Tücken. Wie viel Windenergie darf es sein? Wo sollen die Stromtrassen verlaufen? Wie hoch darf die Wirtschaft finanziell belastet werden und was muss man demzufolge den privaten Haushalten über den Strompreis zumuten? Die neuen Lasten müssen verteilt werden. Nun schließen wir gerade Bekanntschaft mit den konkreten Erscheinungsformen der Altlasten. Die Atomkraftwerke – als Energiequellen inzwischen nicht mehr gewünscht – müssen nach und nach zurückgebaut werden. Für die entsprechenden Zeitkorridore und Kosten gibt es zwar Kalkulationen, aber schon im ersten Fall, dem AKW Stade, erweisen sie sich als grobe Schätzungen. Über das Ausmaß der Materialbelastung durch versickertes, kontaminiertes Wasser weiß man nichts genaues, aber der Rückbau soll drei Jahre länger dauern und doppelt so teuer werden wie geplant – vorerst. Die Kosten der endgültigen Entsorgung des strahlenden Mülls bleiben fraglich und unkalkulierbar. Bau für 150 Millionen, Rückbau für eine Milliarde Euro – wenn das so weitergeht, wird die Stromwirtschaft in nicht allzu ferner Zukunft staatliche Abrisshilfen fordern und im Nachhinein den Antiatom-Demonstrationen der 1970er-Jahre recht geben, die schon damals von unbezahlbaren strahlenden Ruinen gewarnt haben.
michael.lambek@weser-kurier.de

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.