BI Driftsethe

Bürger-Initiative gegen die Bauschuttdeponie in Driftsethe

Die Hinrichtung des Südkreises

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Wie man aus einem Naherholungsgebiet eine Mondlandschaft macht

Die Stimmung wird unfreundlicher im Südkreis. Bürgerinnen und Bürger, Mitarbeiter der Verwaltung, die Samtgemeindebürgermeisterin und der Dorfbürgermeister sind sauer. Obwohl sich die Gemeinden und ihre Bürger einmütig für eine eigenständige Entwicklung ihrer Gemarkung stark machen und darauf drängen, dass ihnen die Gestaltungsmöglichkeiten nicht genommen werden, fühlen sie sich von den Verantwortlichen im Landkreis Cuxhaven nicht ernst genommen. Landrat Kai-Uwe Bielefeld und sein Kreisrat Günter Jochimsen geraten immer mehr in die Kritik. Ob Samtgemeindebürgermeisterin Susanne Puvogel, die Vertreter der Parteien in den Dörfern, Landwirte oder Dorfbewohner: Sie streiten gemeinsam gegen die Ansiedlung von Mülldeponien in ihrer Samtgemeinde und zugleich für das Selbstbestimmungsrecht der Bürger und Gemeinden. Denn seit zwanzig Jahren arbeiten sie bereits am Profil als Naherholungs- und Tourismusgebiet.


Die beantragte Nutzung stillgelegter Sandgruben zur Ansiedlung zweier gigantischer Giftmülldeponien in der Gemeinde Hagen sorgt für Aufruhr. Die Bezeichnung „Giftmüll“ ist hierbei übrigens keine Überspitzung, keine umgangssprachliche Übertreibung: Schließlich geht es unter anderem um die Ablagerung von Schwermetallen und Asbest, die sich im Bauschutt befinden. Nimmt man die zu erwartenden Belastungen durch die Deponieverkehre hinzu, ist auch in dieser Hinsicht die Wirkung auf den südlichen Landkreis katastrophal. Vergegenwärtigt man sich dann noch die Dimensionen der Deponien, die mit bis zu 32 Metern längs der Kreisstraße 51 aufragen sollen, wird klar, warum die Menschen auf die Barrikaden gehen und verlangen, dass die ursprünglichen Langfristplanungen eingehalten werden. Und diese sehen vor: Naherholung, Tourismus und die Förderung der Landwirtschaft unter Erhalt der Kulturlandschaft.

Die ganze Absurdität der Mülldeponieansiedlung offenbart sich in der kurzen Geschichte der betroffenen Region: Die für die Giftmülleinlagerung vorgesehenen Flächen sind Sandgruben. Diese sollten eigentlich – so die Auflagen – nach erfolgtem Sandabbau wieder renaturiert werden. So wie das auch bei anderen Gruben der Fall ist. Das entsprach auch den Vorgaben der Zukunftsplanung im südlichen Landkreis. Denn hier sollten Naherholung und naturnaher Tourismus die Landschaft erschließen. Wasserschutz- und Naturschutzgebiete rings um die Sandgruben sorgten dafür, dass auch kleinste Bauten (z.B. ein Hochsitz) nicht genehmigt werden konnten. Nun jedoch beantragen Müllentsorger die Genehmigung zur Errichtung von Deponien entlang des Weißen Berges, einem exponierten Hügel an der Kreisstraße 51 Richtung Hagen. Absurd ist, dass in Anbetracht der bisherigen Regelungen eine Neudefinition ermöglicht werden soll: Statt der Renaturierung entsteht eine Mülldeponie? Was, fragt man sich, geht in den Köpfen der Landkreispolitiker vor?

Die Bürger und ihre Vertreter in den betroffenen Kommunen lassen keine Zweifel an ihren Vorstellungen: Sie möchten ihr Lebensumfeld so entwickeln, dass Mensch, Natur und Wirtschaft in Einklang miteinander leben können. Gerade die Samtgemeinde Hagen hat viel für die Naherholung getan und auch investiert. Die Entwicklung des Standortes zum zentralen Mülllager der Region wird nicht hingenommen werden. Im Gemeindegebiet gibt es bereits zwei Entsorgungseinrichtungen. Das reicht. Mehr ist mit den Plänen der Gemeinde nicht in Einklang zu bringen. Der Widerstand formiert sich auf allen Ebenen. Die Gründe sind vielfältig. An erster Stelle steht, dass die Gemeinden und die Bürger längst mit der Umsetzung eines anderen Vorhabens begonnen haben. Das Vorhaben ist die logische Konsequenz der Planungen, die seit langer Zeit die Entwicklung der Samtgemeinde prägen. Das Institut für Stadtraumplanung von Prof. Dr. Heiner Hautau und Dipl.-Ing. Dagmar Renneke hat unter dem Arbeitstitel „Schatzgrube Weisser Berg“ ein Konzept entwickelt, das exakt den Vorgaben des Raumordnungsplanes entspricht. Darin heißt es: „Für die ländlich geprägte Samtgemeinde Hagen ist die Förderung des Tourismus als Wirtschaftsfaktor von besonderer Bedeutung und daher ein zentrales Entwicklungsziel der Samtgemeinde. Gleichzeitig gilt es aber auch, attraktive Naherholungsangebote für die ansässige Bevölkerung bereitzustellen und die Bedeutung als Wohnstandort zu stärken. Aufgrund der vielfältigen Landschaft der Samtgemeinde sowie der maritimen Prägung bietet sich insbesondere die Förderung von Angeboten aus dem Bereich Naturerlebnis an. Dabei ist ein besonderes Augenmerk darauf zu richten, dass die Angebote zum Erhalt der strukturreichen Natur und der vielfältigen Landschaft beitragen und nicht eine Zerstörung dieser besonderen Potentiale hervorrufen.

Vor diesem Hintergrund ist für einen Bereich östlich der Ortschaften Driftsethe, Kassebruch und Hagen ein Landschaftsökologisches / Freiraumplanerisches Konzept erstellt worden, welches das Freizeitangebot der Samtgemeinde erweitern soll. Dieses Gebiet bietet sich insbesondere für eine naturorientierte Freizeitnutzung an, da es sich im Übergangsbereich zwischen Marsch und Geest befindet und somit sehr unterschiedliche Naturräume umfasst, die sich durch ein sehr abwechslungsreiches Landschaftsbild und eine vielfältige Natur auszeichnen. Zudem weist das Gebiet unterschiedliche kulturhistorisch bedeutsame Elemente und Gebäude, wie zum Beispiel die Burg zu Hagen, mehrere Hügelgräber, alte Wallheckensysteme und historische Mühlenstandorte auf, die besondere Attraktionen darstellen. Als herausragende „Highlights“ des Gebietes sind des Weiteren die sich innerhalb ehemaliger Abbauflächen entwickelnden, sehr seltenen gewordenen Biotoptypen zu nennen, die im Gegensatz zu den zerstörten Abbauflächen stehen.“

Die Einrichtung von Deponien in den bezeichneten Gebieten wäre nicht nur mit den Plänen der Gemeinde unvereinbar. Sie steht auch im krassen Widerspruch zu den Empfehlungen aus dem Dorferneuerungsplan in Driftsethe und den Entwürfen der Raumordnungspläne. Denn danach ist eine solche Ansiedlung völlig undenkbar. Nicht nur danach. Auch aus Umweltschutzgründen sind die Deponien an der K51 unmöglich.
Natur- und Landschaftsschutzgebiete umgeben die geplanten Deponieflächen. Hinzu kommt die unmittelbare Lage an den Feldern der Hagener Landwirte. Das Wasserschutzgebiet Bramstedt liegt wenige Kilometer entfernt, die Entwässerung der Deponiegebiete wäre durch Ausleitungen nicht möglich. Das Sickerwasser müsste, gesammelt und mit LKW abtransportiert werden. Diese Entsorgungsfahrten würden zu den Anlieferfahrten der Deponie hinzu kommen. Allein die Schätzungen der potenziellen Betreiber gehen von 200 bis 300 LKW-Touren pro Tag aus – ohne Versorgungs- und Entsorgungsfahrten. Die Folgen für die Samtgemeinde Hagen wären katastrophal. Jährlich zusätzlich über 75.000 Schwerlastfahrten über den Amtsdamm und durch das Herz Hagens? Nicht nur dort: Die belasteten Deponieabfälle würden durch Bramstedt, Loxstedt und Driftsethe transportiert, Gemeinden, deren Straßen schon durch die seit Einführung der Autobahngebühren intensiv querenden Mautflüchtlinge völlig überlastet sind. Betrachtet man sich die Fahrbahnränder, dann wird klar, was Zehntausende LKW mit den Straßen rings um die Deponie anstellen können.


 

Zu nah dran

Deponie-Experten sind verwundert: Eigentlich werden Deponien der Klassen I und II in den Randgebieten von Ballungszentren errichtet, um die Wegstrecken kurz zu halten und keine Konflikte mit dem Naturschutz zu erzeugen. Das Driftsether Deponievorhaben indes liegt inmitten eines Landschaftsschutzgebietes, eines Naturschutzgebietes und in unmittelbarer Nähe von weiteren besonders geschützten Biotopen. Gemäß Deponieverordnung 2009, Anhang 1, Kapitel 1, 1.1 Eignung des Standortes, Ziffer 2 und 3, ist bei der Wahl eines Deponiestandortes zu berücksichtigen, dass folgende Bereiche nicht durch die Errichtung und des Betriebes einer Deponie beeinträchtigt werden: „2. Besonders geschützte oder schützenswerte Flächen wie … Wald und Naturschutzgebiete, Biotopflächen …“ „3. Ausreichender Schutzabstand zu sensiblen Gebieten wie z.B. zu Wohnbebauungen, Erholungsgebieten ….“

Neben der Verkehrsbelastung an sich, die über 15 Jahre die umliegenden Gemeinde erdrücken würde, sind es auch die gesundheitlichen Gefahren der Transporte, vor denen Experten warnen. Zur beantragten Deponie der Klasse 1 gelangen nicht recycelbare Stoffe, beispielsweise aus dem Abbruch von Altbauten. Darunter finden sich auch biopersistente Fasern (mit geringer Löslichkeit), vor allem Glas- und Mineralwollen ohne RAL-Zeichen, die heute gar nicht mehr hergestellt werden dürfen. Besonders bedenklich sind Abbruchmaterialien mit schwach gebundenem Asbest: Diese Materialien haben bis zu 60% Asbestanteil und geben die Krebs verursachenden Mikrofasern leicht ab. Die bedenklichen Stoffzusammensetzungen stellen eine unmittelbare Gesundheitsgefahr dar. Auch der Transport und die Lagerung in sogenannten Big-Bags garantiert keine vollständige Sicherheit.


 

Das Trojanische Pferd

Eine Analyse der technischen Ausführung der geplanten Deponie lässt die Anwohner erschaudern: Während in den Antragsunterlagen eine Deponie der Klasse 1 beantragt wird, die vor allem Bauschutt mit seinen belasteten Stoffzusammensetzungen aufnehmen darf, wiesen die technischen Spezifikationen darauf hin, dass hier auch eine Deponie der Klasse II betrieben werden könnte. Stellen die Klasse-1-Stoffe bereits eine Form des Sondermülls dar, ist bei der Klasse-2-Deponie auch die Einlagerung hochbelasteter und hochgiftiger Substanzen möglich. Der Trick: Ist erst mal eine Klasse-1-Deponie genehmigt und erfüllt sie die Voraussetzungen einer Klasse-2-Deponie, so die Experten, sei eine Änderung der Deponieklasse relativ unproblematisch. Die Klasse-1-Deponie mit der Ausrüstung einer Klasse-2-Deponie wäre demnach ein Trojanisches Pferd.

Auch hinsichtlich der Lage der Deponie und der erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen gibt es ausreichende Gründe für eine Ablehnung der Anträge. Deponieexperten vertreten die Auffassung, dass die Schutzabstände des Deponiestandortes zu sensiblen Gebieten wie Wohnbebauungen, Wald- und Naturschutzgebieten, Biotopflächen und landwirtschaftlich genutzten Flächen zu gering sind.
Besonders absurd an der Situation ist, dass es in der Region keinen Bedarf an Deponiekapazitäten gibt. Auch Landrat Kai-Uwe Bielefeld konstatiert: „Wir sehen hier keinen Bedarf.“ Selbst für belastete Baumaterialien gibt es ausreichend Kapazitäten – allein in Bremerhaven können jahrelang die LKW die Deponie „Grauer Wall“ anfahren. So stimmt es nicht wunder, dass Insider davon sprechen, in Hagen könnte auch der belastete Hafenschlick aus Hamburg landen. Das wäre sicher ein Bombengeschäft – zu Lasten der Anwohner natürlich. Dabei gibt es auch in anderen Teilen des Landkreises geeignete Gruben für den Deponiebetrieb. So erwies sich die Schließung der Neuenwalder Deponie als voreilig. Sie liegt im Hinblick auf Verkehrsanbindung und die Belastung von Natur und Umwelt sehr günstig. Der bisherige Betreiber gilt als erstklassig zuverlässig und umweltorientiert. Dumm gelaufen, könnte man meinen. An einer Stelle wird eine funktionierende Infrastruktur mit hohen Kosten für den Betreiber geschlossen, an anderer Stelle gegen den Willen der Bürger, gegen die Belange des Umweltschutzes, gegen die Planungen der Gemeinde, gegen die Empfehlungen der Dorferneuerung und der Bauleitplanung und gegen die allgemeine Raumordnungsplanung eine Deponieerrichtung ins Auge gefasst.

Wie jedoch steht der Landkreis zur Deponie-Ansiedlung? Er trifft schließlich die Entscheidung und beurteilt, inwieweit der Betrieb einer Deponie am beantragten Standort möglich ist. In den letzten 15 Jahren haben sich die Gemeinden der Samtgemeinde eindeutig für eine naturnahe Entwicklung der Region, für eine Förderung des Tourismus entschieden. Das ist sehr gut dokumentiert und fand Eingang in die Dorferneuerungsplanung und Raumordnungsplanung. Überall ist zu lesen, dass die heute für die Deponien vorgesehenen Flächen „als Vorsorgegebiet und Vorranggebiet für Natur und Landschaft vorgesehen“ sind (zum Beispiel Dorferneuerungsplanung Driftsethe, S. 3). Für die Erleichterung der landwirtschaftlichen Nutzung wurde kürzlich eine Flurbereinigung durchgeführt. Pikanterweise sorgt nun gerade diese Veränderung dafür, dass neben der Großdeponie westlich der K 51 nun auch südlich der K51 eine Deponie entstehen könnte – denn nach der Flurbereinigung hätte der Antragsteller ein Recht auf Zusammenlegung von Flächen, die er für seine Deponieplanung benötigt. Die Bauern, für die diese Flurbereinigung erfolgen sollte, damit sie ihre Flächen neu ordnen und effektiver bewirtschaften können, schauen in die Röhre. Schlimmer noch: Sie schauen auf 32 Meter hohe Müllberge und können künftig ihren Mais und Weizen im Staub der Bauschuttdeponie anbauen, müssen damit rechnen, dass belastetes Material – darunter Schwermetalle und Asbest – auf ihre Felder geweht werden.

Landrat Kai-Uwe Bielefeld, der zusehends in die Kritik gerät, betrachtet die Situation mit sachlicher Nüchternheit und wünscht mehr Kommunikation zwischen den Parteien. Als Landkreis-Chef wird er das Antragsverfahren nach Recht und Gesetz durchführen – was bleibt ihm auch? Einen Rechtsbruch wird niemand von ihm verlangen wollen. Interessant wird aber sein, wie er in dieser Angelegenheit entscheiden wird. Im Wesentlichen kommt es darauf an, ob er in den Plänen der Samtgemeinde eine Verhinderungsplanung sieht, oder ob diese Pläne für ihn die natürliche Fortsetzung der Vorhaben sind, wie sie seit bald zwanzig Jahren für die Samtgemeinde betrieben werden und dokumentiert sind.

Quelle: LAUFPASS vom 24. Mai 2010 (www.laufpass.com)

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